red.
Rudolf Rechsteiner ist promovierter Ökonom. Er begann seine berufliche Laufbahn
als Wirtschaftsredaktor der «Basler Zeitung». Seit Anfang der 1990er-Jahre
lehrt er zu Umwelt- und Energiepolitik an den Universitäten Bern und Basel,
seit 2010 auch an der ETH Zürich. Er engagiert sich stark in der
Anti-Atomkraft-Bewegung. Von 1995 bis 2010 sass Rechsteiner für die SP des
Kantons Basel-Stadt im Nationalrat; seit 2012 ist er wieder Mitglied des
Grossen Rates, des Kantonsparlaments von Basel-Stadt.
Drei
Wochen nach Ablehnung des Atomausstiegs ging SVP-Financier Christoph Blocher
per Interview im «Bund» in die
Offensive: Die Schweiz müsse den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke subventionieren,
weil die erneuerbaren Energien noch nicht reif seien.
Die
«Subventionen» für erneuerbare Energien in Deutschland führten dazu, dass der
Strommarkt mit Elektrizität zu Dumpingpreisen überschwemmt werde, was gegen
WTO-Recht verstosse. Die Schweiz solle deshalb «alle Stromproduzenten so lange
gleich hoch subventionieren, bis auch das Ausland aufhört damit».
Der
SVP-Ruf nach Subventionen irritiert, weil die SVP ihr Referendum gegen die
Energiestrategie des Bundesrates als «Kampf gegen mehr Subventionen» ausgibt.
Was Blocher eigentlich meint: Atomsubventionen finden wir gut, die erneuerbaren
Energien sind uns zu teuer – die wollen wir nicht.
Nur: Die
Realität ist eine andere.
Strom aus
erneuerbaren Energien kommt inzwischen billiger ans Netz als derjenige der
alten Atomkraftwerke. Und die Subventionen, die die SVP vorschlägt, kämen viel
teurer. Aber fangen wir von vorne an.
Atomenergie
war und ist die am höchsten subventionierte Energie
Keine
andere Energietechnik in der Geschichte der Menschheit hat jemals mehr
öffentliches Geld erhalten als die Atomenergie, wie die Zahlen der Internationalen
Energieagentur zeigen. Die ersten Schweizer
Reaktoren wurden über die ETH direkt aus dem Bundeshaushalt finanziert. Unter
dem Strommonopol profitierten Atomkraftwerke jahrzehntelang von garantierten
Abnahmepreisen der «Partnerwerke», die die Gestehungskosten direkt den
gefangenen Kunden aufbürdeten. Dazu kamen Quersubventionen aus der billigen
Wasserkraft, die unsichtbar im Mischtarif untergingen.
Die
geschützte Werkstatt der Atomlobby fand erst ein Ende, als Grossverbraucher und
Gemeinden ab 2009 direkten Marktzugang zum europäischen Stromhandel erhielten.
Von nun an
mussten Axpo und Alpiq zunehmend grosse Strommengen auf dem freien Markt
absetzen, was die Axpo inzwischen als ein Problem der «fehlenden
Umlagefähigkeit von Gestehungskosten auf Endkunden» identifiziert
(Bilanzkonferenz vom 21. Dezember 2016).
Die
fehlende Markttauglichkeit der alten Atomkraftwerke belastet Axpo und Alpiq
markant. Alte Atomkraftwerke weisen – entgegen allen Beschönigungen – weit
höhere Kosten auf als alte Wasserkraftwerke. Dazu kommen die nuklearen
Altlasten: Die Finanzierungslücke bei den Atomabfällen beträgt über 10
Milliarden Franken und die kalkulierten
Entsorgungskosten stiegen allein in den letzten
fünf Jahren um weitere 2 auf 24 Milliarden Franken, während die Betreiber nur
170 Millionen Franken jährlich in die Fonds einzahlten, die diese
Entsorgungskosten decken müssten.
Dies
diente allerdings nicht als Argument für das Ende der AKW. Im Gegenteil. Tiefe
Kostenschätzungen und hohe Deckungslücken bei der Entsorgung waren ein
wichtiger Teil der Strategie, Atomkraftwerke um jeden Preis weiter zu
betreiben. So konnte man die Bevölkerung bei Volksabstimmungen stets von Neuem
erpressen: Wollt ihr uns schliessen, müsst ihr zuerst x Milliarden bringen.
Diese Taktik funktionierte auch bei der vergangenen Abstimmung vom 27. November
2016.
Nicht
wettbewerbsfähig
Jetzt –
nach gewonnener Abstimmung – werden die fehlenden Reserven allerdings für die
Betreiber zum Bumerang. Die Hochrisiko-Anlagen sind unverkäuflich und
wirtschaftlich nicht nur wertlos, sondern mit hohen Folgekosten belastet. Viele
Generationen nach uns werden für Hinterlassenschaften aufkommen müssen, deren
Kosten heute niemand wirklich exakt überblickt. Dies gilt selbst, wenn wir von
einem Grossunfall verschont bleiben.
Das
Ausbleiben eines Unfalls wiederum ist alles andere als sicher, angesichts des
rekordhohen Alters «unserer» Atomkraftwerke und der stets betreiberfreundlichen
Aufsichtsbehörde Ensi, die gesetzliche Bestimmungen nach
Belieben durchsetzt, oder eben meistens eher nicht.
Die
wirtschaftlichen Probleme von Axpo und Alpiq sind nicht, wie Christoph Blocher
vorgibt, auf die «deutschen Subventionen für erneuerbare Energien»
zurückzuführen. Am Anfang des Dramas standen Leute wie Heinz Karrer (Axpo,
heute Chef der Economiesuisse) und Hans Schweickardt (ehemals Alpiq), die die
Atomenergie zum Selbstzweck erklärten und meinten, man könne die fortlaufenden
Kostensenkungen von Wind- und Solarstrom ohne weiteres ignorieren.
Sie
erfanden das Märchen von der Stromlücke und den stetig steigenden Strompreisen
– und glaubten es mit der Zeit auch selber. Wer widersprach, wurde mit der
Kampfparole «Versorgungssicherheit» zum Schweigen gebracht.
Die
Realität, dass inzwischen der Markt, die Eidgenössische Elektrizitätskommission
ElCom und der System-Dienstleister Swissgrid für Versorgungssicherheit
zuständig sind, wurde erst Ende 2015 von der Zürcher Regierung erstmals
eingestanden. «Es gibt keinen Auftrag an die Axpo
Holding, den Kanton mit Strom zu versorgen», lautet der lapidare Satz zur
«Risikoberichterstattung im Strombereich». Dass der grösste Axpo-Aktionär damit
signalisierte, dass er für seine stets stolze Tochter keine finanziellen
Nachschusspflichten übernehmen wolle, dürfte am Konzernsitz in Baden
Schockwellen verursacht haben.
Derweil
schmilzt die Kapitalbasis der Axpo zum dritten Mal um rund eine Milliarde
Franken. Fehlinvestments in Kohle- und Gaskraftwerke sowie fragwürdige
Pipeline-Beteiligungen, die Kostenentwicklung in Beznau, Gösgen und Leibstadt
seit Fukushima und der mehrjährige Stillstand einzelner Reaktoren mit
entsprechenden Ertragseinbussen führten Axpo wie Alpiq in die Überschuldung.
Vielleicht
– aber nur vielleicht – kommt ja irgendwann einer in der Axpo-Zentrale auf die
Idee, dass der Weiterbetrieb von Beznau nicht das Gelbe vom Ei ist: Dessen
Strom kostet dreimal mehr, als auf dem Markt damit erlöst werden kann – und
dies auch nur dann, wenn beide Reaktoren laufen dürfen, was vom Entscheid des Ensi
abhängt.
Im
europäischen Wettbewerb erhalten jeweils die Kraftwerke mit dem geringsten
Preis den Zuschlag, bis die Nachfrage gedeckt ist. Unter kaufmännischer Führung
dürften demnach nur Kraftwerke ans Netz, die wenigstens ihre variablen Kosten
decken. Tiefe variable Kosten weisen Atomkraftwerke allerdings nur dann auf,
wenn man mit ideologischen Scheuklappen den Aufwand für Reparaturen und Nachrüstung
ausblendet, der die Firmen bei einem Weiterbetrieb ganz erheblich belastet.
Windkraftanlagen
und Solarstromanlagen erzielen auch bei Strompreisen von 2 bis 3 Rappen pro
Kilowattstunde (Rp/kWh) noch positive Deckungsbeiträge.
Speicher-Wasserkraftwerke können ihre Lieferungen dosieren und gezielt die
Zeiträume mit hohen Preisen bedienen. Nicht so die Atomkraftwerke.
AKW
liefern zwar 24 Stunden am Tag immer gleich viel Strom, sofern sie nicht unter
Panne stillstehen. In der Nacht wird die Energie aber kaum benötigt – es sei
denn, man verschenkt sie unter dem Preis, der die Produktionskosten deckt. Hohe
Fixkosten und fehlende Flexibilität verursachen inzwischen auch während der
Tageszeit mit hoher Nachfrage Verlust, zum Beispiel wenn die Sonne scheint und
Solarstrom die Netze füllt – und dies erst noch billiger als die alten AKW.
Eine
Kilowattstunde aus Gösgen, Leibstadt und Beznau kostet die Betreiber gemäss
offiziellen Angaben 4,6, 5,6
und 8,5 Rappen. Gemessen am Marktpreis von 3,1
Rp/kWh machen sie damit Betriebsverluste von jeweils 120, 220 beziehungsweise
297 Millionen Franken pro Jahr. Das sind 637 Millionen Franken insgesamt. Hinzu
kommen bei einem Stillstand von Beznau und Leibstadt wie im Winter 2016 noch
Ertragsausfälle von 100 bis 200 Millionen.
Die
Mitteilung der Alpiq, sie habe vergeblich versucht, das AKW Gösgen der
Electricité de France für einen Franken zu verkaufen, sagt alles. Ökonomisch
sind Atomkraftwerke nur noch Altlast – eine teure radioaktive Müllhalde. Und
mit dem Weiterbetrieb lassen sich die Schulden nicht senken, sondern sie nehmen
zu, wenn man die tatsächlichen Kosten einrechnet.
Die
AKW-Betreiber tricksen bei der Buchhaltung
Die
AKW-Betreiber stellten stets ihre angeblich sensationell tiefen Kosten als
Vorteil heraus und schwärmten von variablen
Kosten von nur «1 Rappen pro kWh». Doch diese Angaben sind
falsch. Der Weiterbetrieb verursacht nicht bloss Brennstoffkosten, sondern auch
Personal-, Reparatur- und Nachrüstungsaufwand. Letztere werden in den
Geschäftsberichten versteckt. Die beiden Kernkraftwerke Leibstadt und Gösgen
verbuchen ihre Reparaturkosten nämlich systematisch als «Investitionen», um
vorzutäuschen, der Weiterbetrieb lohne sich noch auf Jahrzehnte hinaus. Rechnet
man die
tatsächlichen Betriebskosten nach, lohnt sich der
Weiterbetrieb effektiv nicht.
Auch die
Abschreibungen in den Erfolgsrechnungen der beiden AKW-Firmen werden zu tief
ausgewiesen: Um die Betriebskosten auf dem Papier niedrig zu halten, wurden die
zugrunde gelegten Laufzeiten erst von 40 auf 50 Jahre, dann von 50 auf 60 Jahre
gedehnt, und dies ohne Rückstellungen für Nachrüstungen zu bilden, die für
verlängerte Restlaufzeiten nötig wären.
Würde man
ehrlich rechnen, würde eine Kilowattstunde Atomstrom wahrscheinlich mehr als 10
Rappen kosten. Doch die Unternehmen polieren weiter ihre Fassade und wälzen den
finanziellen Druck auf Dritte ab. Das bekommen zum Beispiel jene zu spüren, die
für die Sicherheit der Anlagen verantwortlich wären.
Durch die
«veränderte wirtschaftliche Situation der Betreiber» sei «klar, dass das Ensi
politisch vermehrt unter Druck kommen kann», schreibt die Aufsichtsbehörde dazu.
Für den Weiterbetrieb sei «unabdingbare Bedingung: Es muss weiter in die
Sicherheit investiert werden. Und da zeichnen sich heute Fragen ab». Denn es
fehlt das Geld.
Schon zwei
Jahre zuvor warnte die Eidgenössische
Finanzkontrolle davor, dass AKW-Betreiber die
Kosten für Stilllegung und Entsorgung umgehen könnten – mit einem Konkurs.
Je weniger
Geld die Betreiber haben, umso kleiner ist das Vermögen, mit dem sie haften.
Gerade die Phase nach der Stilllegung ist sehr teuer und müsste aus eigenen
Reserven finanziert werden. Diese Reserven sind aber gar nicht da. In ihrem
Bericht von 2014 schreibt die Finanzkontrolle: «Wie lange es dauern würde, bis
eine Werksbetreiberin, insbesondere bei den reinen Betriebsgesellschaften, die Lösung
im Konkurs suchen würde, kann heute nicht abgeschätzt werden.»
Was sich
hingegen sicher sagen lässt: Namhafte Teile ihres Vermögens haben
AKW-Muttergesellschaften bereits verkauft oder sind auf bestem Weg dazu. Als
Erste begann die Alpiq, ihre Liquidität durch den Verkauf von jeweils 49
Prozent ihrer Wasserkraftwerke zu verbessern. Vor Weihnachten gab nun auch die
Axpo bekannt, ihre rentablen Wasserkraftwerke und Netze in die «Axpo Solutions»
auszulagern, um an neues Geld zu kommen.
An sich
ist das gut: Die vermögensrechtliche Trennung der werthaltigen Beteiligungen
nach deutschem Vorbild macht es leichter, die Wasserkraft zu retten. Und die
Tatsache, dass nur Minderheitsbeteiligungen verscherbelt werden, deutet darauf
hin, dass beide Konzerne in der Wasserkraft wirtschaftliches Potenzial erkennen
und aus diesem Grund die Energiestrategie des Bundesrates mittragen werden,
über die im Mai abgestimmt wird.
Der
Entsorgungsfonds braucht Geld? Kürzen wir die Beiträge!
Wenn es
der SVP gelingt, die Energiestrategie 2050 mit einer Nein-Mehrheit zu bodigen,
wäre den AKW-Betreibern deshalb nicht geholfen. Im Gegenteil. Die
Wasserkraftwerke würden an Wert verlieren, für die Beteiligungen fänden sich
keine Käufer und die Holdings würden noch mehr Geld abschreiben müssen. Und ob
die SVP danach mit einem Anschlusspaket ein besseres Rettungspaket für alte
Atom- und Wasserkraftwerke in einer Volksabstimmung durchsetzen kann, müsste
sie erst noch beweisen. Deshalb gibt sich die Strombranche mit dem Spatz in der
Hand zufrieden, den die Mehrheit im Bundeshaus ihr geben will.
Trotz
diesen düsteren Aussichten gibt sich die Atomlobby aber noch lange nicht
geschlagen. Sie hofft auf einen Strompreisanstieg in Europa, zum Beispiel durch
eine Revision
des europäischen Emissionshandels und versucht in der
Zwischenzeit alles, um eigene Kosten auf die Allgemeinheit abzuwälzen.
Jüngstes
Beispiel liefert die Verwaltungskommission des Stilllegungs- und Entsorgungsfonds
(Stenfo). Sie hat aktuell mitgeteilt, dass die Gesamtkosten einer Stilllegung
der AKW von 22 auf 24 Milliarden Franken gestiegen sind. Offiziell fehlen im
Fonds aktuell mindestens 9,1 Milliarden Franken, um diese Kosten zu decken. Die
Kommission hat nun allerdings nicht die Beitragssätze der AKW-Betreiber erhöht,
sondern will diese um zwei Drittel senken.
Sie gibt
sich überzeugt, dass sie mit den in den vergangenen 47 Jahren angehäuften
Beiträgen von 6,2 Milliarden Franken auf dem Kapitalmarkt real über 15
Milliarden erwirtschaften kann, dank «steigenden Kapitalerträgen».
Und was,
wenn es im Umfeld der Minuszinsen nicht klappt und sich die abenteuerliche
Kalkulation als Taschenspielertrick herausstellt? Dann haben die
Steuerzahlenden einfach Pech gehabt. Unsere Nachkommen werden keinen dieser
«Experten» auf dem Friedhof auf betrügerischen Konkurs einklagen können.
Die
Kleinen bezahlen die Rechnung
Die Zahl
der Tricks, mit denen sich die Atomlobby zu retten sucht, wird zunehmend unübersichtlich.
Schon bei der Marktöffnung von 2009 wurden gesetzliche Privilegien geschaffen.
Hochspannungsleitungen aus Frankreich wurden für Atomstrom reserviert und
verschaffen der Atomlobby bis heute wertvolle Monopolrenten.
Und weil
die Stromliberalisierung für Kleinkunden immer wieder aufgeschoben wird, kann
ein Teil des Atomstroms weit über dem Marktpreis an «gefangene Kunden» verkauft
werden. Nur die Grossbezüger profitieren in der Schweiz von den starken
Preisnachlässen. Sie konnten ihre Energiekosten nicht selten halbieren.
Haushalte
und Gewerbebetriebe mit weniger als 100'000 kWh Jahresverbrauch bezahlen mehr
und erhalten auch weniger, wenn sie Strom vom Solardach ins Netz einspeisen. So
kann die Bernische Kraftwerke AG (BKW) für Strom aus Mühleberg bei ihren
Kleinkunden gut und gern 10 bis 15 Rp/kWh einheimsen. Den kleinen Produzenten
mit Solarstrom vom Hausdach bezahlt sie seit dem 1. Januar 2017 nur noch 4
Rp/kWh.
Der
Ständerat will die Preisnachteile der Kleinkunden noch verstärken. In der Wintersession
hat er beschlossen, dass Netzbetreiber
von der bisherigen Pflicht gänzlich entbunden werden,
ihre Preisvorteile am offenen Markt an ihre gefangenen Kunden weiterzugeben.
Auf diese Weise sollen Wasserkraftwerke und Atomkraftwerke ihre Vollkosten
einfacher überwälzen können, nachdem das Bundesgericht diese Praxis als
ungesetzlich gerügt hat.
Die Mär
der Subventionen: Erneuerbare Energien sind ein richtig gutes Geschäft
Trotz
vielseitigen Benachteiligungen befinden sich die erneuerbaren Energien fast
überall auf Wachstumskurs, mit Verspätung sogar bei uns in der Schweiz. Ursache
dafür sind die starken Kostensenkungen seit Beginn der deutschen Energiewende.
Neue Solarstromanlagen und Windkraftanlagen sind sowohl im Grosshandel wie in
dezentralen Kleinanlagen rentabel – bei Letzteren reichen häufig allein die
Ersparnisse aus Eigenverbrauch, um die Anlagen zu amortisieren.
Das Bild,
das Christoph Blocher und die SVP von Wind- und Solarstrom zeichnen, kommt
einer Geschichtsklitterung gleich. Schon der Begriff «Subvention» – er
umschreibt eine Leistung aus der Staatskasse – ist falsch.
Die
kostendeckenden Abnahmepreise in Deutschland und in über 60 anderen Ländern
wurden aus Netzgebühren von den Verbrauchern finanziert, und nicht aus der
Staatskasse. Tatsächlich ist es umgekehrt: Wer sich auch nur ein bisschen über
die Energiewirtschaft informiert, weiss, dass kaum eine Öl- oder Gasbohrung,
kaum eine Pipeline und sicher kein Atomkraftwerk je ohne Staatshilfen oder Steuergutschriften
gebaut wurden. Der Kohlepfennig sicherte jahrzehntelang die Wirtschaftlichkeit
eines inzwischen verpönten Energieträgers.
Das war
auch bei Sonne und Wind nicht anders. Die ersten Einspeisevergütungen für
Windkraft (beschlossen 1991 unter CDU-Kanzler Helmut Kohl im Strom-Einspeisegesetz) lagen
bei 90 Prozent vom Endverbraucherpreis, etwa 19 Pfennig/kWh. Für Solarstrom
erhöhte sich die Vergütung im Jahre 2004 dann auf 57 Cents pro Kilowattstunde,
etwa 90 Rp/kWh zum damaligen Kurs.
Das alles
ist Geschichte.
Inzwischen
ist Strom aus Photovoltaik-Anlagen billiger
als Kohle- oder Atomstrom und selbst billiger als
Strom aus US-Schiefergas. Die
globalen Neu-Installationen haben sich von 2600 Megawatt (2007) auf 76'000
Megawatt (2016) fast verdreissigfacht.
Die alten Einspeisevergütungen in Deutschland und in der Schweiz wurden oder
werden abgeschafft zugunsten marktorientierter Bezugsverträge. In Deutschland
werden Strombeschaffungsverträge für Wind- und Solarkraftwerke wettbewerblich
ausgeschrieben, mit radikalen Auswirkungen, was Transparenz und Preisdruck
anbelangt.
Für Megawatt-Solarkraftwerke
sanken die Preise innert zweier Jahre von 9 auf 5 Cents pro Kilowattstunde
(€C./kWh). Sie liegen damit bereits deutlich unter den (geschönten) Preisen von
Leibstadt oder Beznau. Die jüngsten Ausschreibungen mit einem Preisergebnis von
5,3 €C./kWh für neuen Solarstrom gingen ausgerechnet
ins nördliche Dänemark. Dort sind billige
Flachland-Standorte zulässig, während in Deutschland nur degradierte
«Konversionsflächen» erlaubt werden.
Das
Beispiel zeigt eindringlich, wie verzweifelt die Wettbewerbslage der
AKW-Betreiber geworden ist: Wenn in Dänemark mit bescheidenen 800
Volllaststunden pro Jahr Strom zu 5 €C./kWh möglich ist, dann wird derselbe
Strom in Baden-Württemberg mit 1000 Volllaststunden für 4 €C./kWh ins Netz
fliessen und für 3,5 €C./kWh in Italien mit bis zu 1450 Volllaststunden pro
Jahr.
Die
EU-Kommission wird wettbewerbliche Vergaben im ganzen Strombinnenmarkt
durchsetzen. In Spanien boten private Investoren schon im vergangenen Jahr
neuen Strom für 3,8
€C./kWh in offener Vermarktung an, ohne jegliche staatliche
Hilfe.
In den
letzten zwölf Monaten sind die Preise für Solarmodule um 36,5
Prozent gesunken. Die Behauptung, der
Umstieg auf erneuerbare Energien sei teuer und mengenmässig nicht zu schaffen,
wird deshalb immer absurder. Nur zur Erinnerung: Das AKW Leibstadt ging 1984
mit Strom für 11 Rp/kWh ans Netz, was zu heutigen Preisen knapp 20 Rp/kWh
entspricht.
Scharfe
Preissenkungen werden nicht nur beim sommerlastigen Solarstrom verzeichnet. Die
im Winter besonders reichliche Windenergie vom Meer hat ihre Kosten innert zwei
Jahren halbiert. Noch 2014 hielt man Produktionskosten unter 10 €C./kWh für
einen Meilenstein, den man frühestens 2030 erreiche. Doch die Ausschreibungen
sorgten auch hier für radikal veränderte Einkaufskonditionen, wie die
erfolgreichen Preisgebote in Holland zu
5,4 €C./kWh und in Dänemark zu 4.95 €C./kWh zeigen.
Und dabei wird es nicht bleiben.
Wenn
seebasierte Anlagen unter der 5 €C./kWh-Marke produzieren, sind landbasierte
Anlagen für 3 bis 4 €C./kWh auch in Deutschland und Frankreich möglich. In
Norwegen und in den USA gehen sie bereits zu diesen Konditionen ans Netz.
Der
Atomstrom ist bereits zur Hälfte ersetzt
In diesem
Umfeld ist es keine Überraschung, dass die Bank UBS Ende Jahr Axpo auf
einen BBB-Status zurückgestuft hat. Und die Bewertung
des Unternehmens wird nicht besser, der Ausblick der UBS lautet «negativ» –
auch für das Rating der AKW Gösgen und Leibstadt. BBB ist ein Rating, das Alpiq
schon länger mit sich herumschleppt und das die Refinanzierung von Obligationen
verteuert. Die neue Führungscrew würde noch so gerne von den Altlasten
wegkommen. Mit den neu abgeschlossenen Bezugsverträgen
von Windenergie aus Norwegen– ohne irgendwelche
Subventionen erstellt – anerkennt nun selbst die Axpo, dass erneuerbare
Energien der «best buy» am Markt sind.
Grundlegend
falsch ist nicht nur Blochers Diffamierung von den «hohen Subventionen»,
sondern auch die angebliche
Unmöglichkeit, «38 Prozent Atomenergie» sauber zu
ersetzen.
Der Anteil
der Atomenergie dürfte wegen Betriebsunterbrüchen im vergangenen Jahr unter 30
Prozent gelegen haben. Die Abschaltung von Mühleberg mit 5 Prozent Marktanteil
wird spätestens 2019 stattfinden. 38 Prozent Atomenergie – das war einmal,
nicht zuletzt, weil die erneuerbaren Energien stark zugelegt haben.
Der Beitrag
an neuem erneuerbaren Strom aus dem Inland ist von 2 Prozent auf über 8 Prozent
angestiegen. Er beträgt sogar über 20 Prozent, wenn man die bestehenden und
die laufenden
Ökostrom-Investitionen der Netzbetreiber im
europäischen Ausland mitrechnet.
Es ist ein
schwerer ideologischer Fehler, diese europäischen Bezugsrechte einfach zu
ignorieren. Ohne Stromimporte im Winter wäre die Versorgungssicherheit in 14
der letzten 15 Jahre nicht gewährleistet gewesen.
Der Import
von Windenergie aus Europa während des Winters darf nicht länger als Problem
angesehen werden. Man sollte ihn als Teil der Lösung akzeptieren. Die Schweiz
war schon immer extrem stark in die europäische Stromversorgung eingebunden,
und dies nicht zu ihrem Nachteil.
Die
Kapazitäten der europäischen Netzanbindung übertreffen die Leistung aller
Atomkraftwerke um ein Mehrfaches. Die Schweiz kann dank der Speicherseen
Stromimporte immer dann tätigen, wenn diese witterungsbedingt billig sind – und
trägt damit erst noch zur Marktstabilisierung bei. Diese Win-win-Situation
sollte man nicht einer EU-feindlichen Ideologie opfern. Und es ist falsch zu
glauben, die SVP sei in echter Sorge um die Versorgungssicherheit. Dort wo
echte Versorgungsrisiken bestehen – bei Öl und Gas – hat diese Partei alle
Bestrebungen zum Abbau der Abhängigkeiten stets als unnötige Gesetzesflut
abgetan.
Sollten
AKW-Abschaltungen dann doch einmal Verknappungen im Inland verursachen, braucht
es sicher keine neuen Grosskraftwerke. 35'000 Projekte figurieren derzeit auf
der Warteliste des Bundes und sind wegen diskriminierender Gesetze und
fehlender Abnahmeverträge blockiert. Allein mit diesen bisher angemeldeten
Projekten lässt sich mehr als die Hälfte allen Atomstroms sauber ersetzen.
Selbst
Texas setzt auf erneuerbare Energie
Mit der
Kampfansage an die Energiestrategie des Bundesrates und mit dem Ratschlag, man
solle «den Stromversorgern einen Strommix mit einem Anteil Inlandproduktion
vorschreiben», beschreitet die SVP einen Weg mit Kaufzwang, den kein anderes
Land in Europa beschritten hat.
Eine Quote
für Inlandstrom würde den Strompreis auf das Niveau des teuersten Anbieters
anheben und gleich um mehrere Rappen verteuern. Dies würde besonders die
Wirtschaft, die heute am meisten von den tiefen Preisen profitiert, empfindlich
treffen. Zudem kann selbst subventionierte Atomenergie eines nicht liefern, was
die erneuerbaren Energien nachweislich gut beherrschen: Kostensicherheit.
Wie viel
Geld für den Weiterbetrieb inklusive Entsorgung wirklich fehlt, wissen nicht
einmal die AKW-Betreiber selber. Und während man eine Windturbine oder ein
Solarpanel gegen Maschinenbruch versichern kann, werden die Reparateure bei 35-
bis 50-jährigen Atomkraftwerken an niemanden und für gar nichts eine Werk-Garantie
abgeben, die der Qualität einer Neuanlage entspricht. Bei diesen Oldtimern sind
jederzeit neue Materialschäden möglich, denn die Radioaktivität lässt Metalle
mit zunehmendem Alter spröde werden.
Und den
AKW-Betreibern läuft die Zeit davon: Bei den heutigen Strompreisen verursachen
allein die AKWs jährlich einen Verlust von 300 bis 600 Millionen Franken. Gut
möglich, dass wir nicht bis 2029 warten müssen, bis das letzte Atomkraftwerk
vom Netz geht. Konventionelle Kraftwerke sind auf der ganzen Welt in der
Defensive. Sie werden stillgelegt oder
operieren nur noch als Reservekraftwerke weiter.
In Indien,
wo Photovoltaik inzwischen billiger ist als Kohlestrom, wanderten Pläne für
Dutzende neue Kohlekraftwerke in die Schublade. Im
US-Bundesstaat Texas – nicht gerade bekannt als ökologische Trutzburg – wird
der Netzbetreiber die Schliessung von zehn Kohlekraftwerken vollständig durch
den Zubau von
Photovoltaik kompensieren.
Da Sonne
und Wind nicht Tag und Nacht bedarfsgerecht Strom liefern, bleibt das exponentielle
Marktwachstum von Speicherbatterien zu erwähnen, die jährlich
10 bis 15 Prozent billiger werden.
Für viele
Netzbetreiber ist die Bereitstellung von Reserveenergie zur Spannungshaltung mit
Lithium-Ionen-Batterien inzwischen billiger als die Spitzenleistung
herkömmlicher Gaskraftwerke. Und die Verlagerung
von solarer Leistung vom Tag in die Nacht ergibt
sich als willkommener Zusatznutzen der neu installierten Super-Batterien.
Die SVP
leistet mit ihrer Rettungsaktion für Atomkraftwerke Widerstand gegen die
Energiewende. Den Niedergang der Atomindustrie wird sie mit dem Referendum
gegen die Energiestrategie nicht verhindern.
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Dieser
Artikel ist erstmals in der TagesWoche erschienen.
Themenbezogene
Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors
Rudolf
Rechsteiner sass von 1995 bis 2010 für die SP des Kantons Basel-Stadt im
Nationalrat; seit 2012 ist er wieder Mitglied des Grossen Rates, des Kantonsparlaments
von Basel-Stadt. Rechsteiner ist Verwaltungsrat des Basler Energieversorgers
IWB.
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