Saure Gurke der
politischen Sommerzeit: die Propagierung eines AKW-Neubaus in der Schweiz durch
SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher. Es kann aber nicht schaden, sich
die ganz deutliche Unmöglichkeit eines solchen Vorhabens wieder einmal vor
Augen zu führen. Und dabei nicht zu vergessen, dass es sich um eine wahrhaftige
Systemfrage handelt im Sinne von: Wollen wir die Wirtschaft mitbestimmen oder
die Kontrolle endgültig Blocher’s & Co. resp. den Konzernen überlassen.
|
Will man solche Bilder auf alle Ewigkeit in der Landschaft sehen? Foto: Guntram Rehsche
|
Da wird also wieder
mal munter über einen Neubau eines Atomkraftwerks in der Schweiz schwadroniert.
In einschlägigen Kreisen der Klimaleugner und Skeptiker der Energiestrategie
2050 macht die Idee schon länger die Runde – ja man darf getrost annehmen, dass
sie auch unmittelbar nach der Abstimmung von 2017 mit der deutlichen Ablehnung
von Neubauten weiterhin in deren Köpfen geisterte. Da ist es ja fast nur ein
Nebenschauplatz, dass SVP-Protagonisten, die sich sonst munter auf die
Volksrechte berufen, der Energiestrategie-Abstimmung jegliche Gültigkeit
versagten. Die Idee vom Atom ist offenbar derart hartnäckig, dass selbst eine
Impfung dagegen, sprich eine Volksabstimmung, wirkungslos bleibt.
In der Person von
Martullo-Blocher und lanciert in einem Blick-Interview, ist der
Atom-Wiedereinstieg nun also plötzlich fast wieder in aller Munde. Nun, man
könnte sich darauf verlassen, dass die Befürworter*innen schon nur durch die
Trägheit des politischen Systems zurückgebunden werden. Denn ein Neubau ist per
Gesetz schlicht und einfach.... verboten. Also liesse sich getrost auf jene
Verfassungs-Initiative warten (eine Gesetzes-Initiative kennt der
CH-Politbetrieb ja nicht), der das Ganze definitiv aufs Tapet brächte. Oder auf
die Neuformulierung des Gesetzes seitens des Bundesrats oder des Parlaments –
unwahrscheinlich zumindest in der aktuellen politischen Konstellation von eben diesen.
Ich und viele warten gelassen darauf – dennoch sind auch wieder mal all die vielen Argumente
zusammenzustellen, die das Anliegen AKW-Neubau als das demaskieren, was es ist:
ein letzter Versuch (vielleicht), die Technologie doch noch ins 21. Jahrhundert
zu retten und damit auch gewissen politischen Interessen willfährig zu sein – nämlich
all jenen, die auf einen fast allmächtigen Zentralstaat setzen, der über die
Kontrolle einer zentralisierten Wirtschaft die Gesellschaft zu kontrollieren
sucht.
Womit wir schon beim
wichtigsten Argument gegen die Atomtechnologie wären – sie ist nämlich eben
Ausdruck einer zentralisierten Wirtschaft, die sich der Bürger*innen-Kontrolle
je länger, je mehr entzieht. Denn DIE ALTERNATIVE zur Atomwirtschaft ist die
SOLARWIRTSCHAFT mit ihrer eindeutigen Tendenz zur dezentralen Entwicklung. Es
ist ja nicht umsonst, dass Genossenschaften im Energiebereich – vor allem in
Deutschland, leider weniger in der Schweiz – quasi die Wiedergeburt der
Genossenschaftsidee feiern. Und dann gibt es ja eine Vielzahl von Argumenten,
die zwar nicht neu sind, die aber heute wie früher gegen weitere AKW-Bauten in
der Schweiz (und auch anderswo) spreche – sie seien hier in aller Kürze in
Erinnerung gerufen und mit Fragen eingeleitet:
- Wer baut und wer
investiert? Die Stromkonzerne der Schweiz haben auf jeden Fall der Atomenergie eine deutliche Absage erteilt - so etwa die Axpo, deren neuer Chef Christian Brand bei allen Einwänden sich durchaus zur Energiestrategie 2050 (ohne AKW) bekennt.
-
Was kostet der Strom aus einem allfälligen neuen AKW? Atomstrom aus neuen AKW, die irgendwie mit Schweizer Verhältnissen korrespondieren (also in Finnland, Frankreich und Grossbritannien) wird über 13 Eurocent kosten für die Kilowattstunde. Das ist jenseits jeglicher Konkurrenzfähigkeit mit dem Strompreis Erneuerbarer Energien aus Wind und Sonne.
- Wer versichert die Risiken neuer AKW? Bezeichnenderweise ist davon seitens der Befürworter wiederum nicht die Rede. Wie schon bisher, wird stillschweigend davon ausgegangen, dass dies sicher nicht die Betreiber sind. Mit anderen Worten, der Staat wird dann schon einspringen und keinerlei Versicherungskosten eingepreist.
- Woher die
Technologie (weiss Blocher selber nicht)? Es ist effektiv die Rede von bis zu sechs verschiedenen Arten neuer Atomreaktoren. Man beachte - sie sind allesamt nur als theoretische Modelle bekannt, vereinzelt als Projektbetrieb (Small Reactor auf russischem Schiff), im Grosseinsatz aber noch überhaupt nirgends erprobt. Wollen wir in der Schweiz solch einen Probebetrieb - und wer zahlt den dann?
-
Wohin mit dem Abfall (den gibt es ja, simsalabim plötzlich gar nicht mehr, da
wiederverwertet)? Das ist die Uraltgeschichte dieser Technologie - und eine Lösung weiterhin nur in der Ferne, vielleicht in einem unterirdischen Lager in Finnland - vielleicht aber auch vor unserer Haustüre im Gebiet der Lägern im Zürcher Unterland.....
- Wie sieht eine umfassende Umweltbilanz von Atomkraftwerken aus? Noch ist eine Beurteilung mit der Methode der Umweltbelastungspunkte ausstehend - auf jeden Fall ist die Gleichung Kernenergie = Umweltschutz gemäss einer solchen eben sicherlich ein Fehlschluss.
-
Wie viel kostet eigentlich der Rückbau in Mühleberg, auch in CO2-Einheiten gemessen? Auch ein Punkt, der bislang tunlichst umschifft wird. Gerne wird behauptet, die Kosten der Rückbauten seien durch die beiden Fonds gedeckt. Wenn man das auch gern glauben würde: Deren ständig zu beobachtende Steigerung sowie die fehlende CO2-Bilanz des Rückbaus machen stutzig.
Fazit: Es gibt wahrlich viele Punkte, die AKW-Neubauten fragwürdig erscheinen lassen. Aber es gibt noch deren viel mehr, die für eine alternative Anwendung Erneuerbarer Energien sprechen. Deren zweifellos auch vorhandene Probleme scheinen im Vergleich zu jenen der Atomtechnologie dann doch als Pipifax!
Man mag also
Martullo’s Idee nicht so recht ernst nehmen. Einmal abgesehen davon, dass sie
vielleicht nur immer ihrem Vater nacheifern und dessen Achtung suchen will - er, der eine seiner wenigen
politischen Niederlagen im Atomdisput erlitt mit der Beerdigung des
Kaiseraugst-Projekts, sich diese Niederlage aber mit hunderten Millionen
Schadenersatz quasi vergolden liess. Ein Schelm, wer gleiches von seiner
Tochter denkt.