Sonntag, 25. Juli 2021

Mehr vom Gleichen, oder wieder eine saure Gurke?

Saure Gurke der politischen Sommerzeit: die Propagierung eines AKW-Neubaus in der Schweiz durch SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher. Es kann aber nicht schaden, sich die ganz deutliche Unmöglichkeit eines solchen Vorhabens wieder einmal vor Augen zu führen. Und dabei nicht zu vergessen, dass es sich um eine wahrhaftige Systemfrage handelt im Sinne von: Wollen wir die Wirtschaft mitbestimmen oder die Kontrolle endgültig Blocher’s & Co. resp. den Konzernen überlassen. 

 

Will man solche Bilder auf alle
Ewigkeit in der Landschaft
sehen? Foto: Guntram Rehsche

Da wird also wieder mal munter über einen Neubau eines Atomkraftwerks in der Schweiz schwadroniert. In einschlägigen Kreisen der Klimaleugner und Skeptiker der Energiestrategie 2050 macht die Idee schon länger die Runde – ja man darf getrost annehmen, dass sie auch unmittelbar nach der Abstimmung von 2017 mit der deutlichen Ablehnung von Neubauten weiterhin in deren Köpfen geisterte. Da ist es ja fast nur ein Nebenschauplatz, dass SVP-Protagonisten, die sich sonst munter auf die Volksrechte berufen, der Energiestrategie-Abstimmung jegliche Gültigkeit versagten. Die Idee vom Atom ist offenbar derart hartnäckig, dass selbst eine Impfung dagegen, sprich eine Volksabstimmung, wirkungslos bleibt.

In der Person von Martullo-Blocher und lanciert in einem Blick-Interview, ist der Atom-Wiedereinstieg nun also plötzlich fast wieder in aller Munde. Nun, man könnte sich darauf verlassen, dass die Befürworter*innen schon nur durch die Trägheit des politischen Systems zurückgebunden werden. Denn ein Neubau ist per Gesetz schlicht und einfach.... verboten. Also liesse sich getrost auf jene Verfassungs-Initiative warten (eine Gesetzes-Initiative kennt der CH-Politbetrieb ja nicht), der das Ganze definitiv aufs Tapet brächte. Oder auf die Neuformulierung des Gesetzes seitens des Bundesrats oder des Parlaments – unwahrscheinlich zumindest in der aktuellen politischen Konstellation von eben diesen. 

 

Ich und viele warten gelassen darauf – dennoch sind auch wieder mal all die vielen Argumente zusammenzustellen, die das Anliegen AKW-Neubau als das demaskieren, was es ist: ein letzter Versuch (vielleicht), die Technologie doch noch ins 21. Jahrhundert zu retten und damit auch gewissen politischen Interessen willfährig zu sein – nämlich all jenen, die auf einen fast allmächtigen Zentralstaat setzen, der über die Kontrolle einer zentralisierten Wirtschaft die Gesellschaft zu kontrollieren sucht.

 

Womit wir schon beim wichtigsten Argument gegen die Atomtechnologie wären – sie ist nämlich eben Ausdruck einer zentralisierten Wirtschaft, die sich der Bürger*innen-Kontrolle je länger, je mehr entzieht. Denn DIE ALTERNATIVE zur Atomwirtschaft ist die SOLARWIRTSCHAFT mit ihrer eindeutigen Tendenz zur dezentralen Entwicklung. Es ist ja nicht umsonst, dass Genossenschaften im Energiebereich – vor allem in Deutschland, leider weniger in der Schweiz – quasi die Wiedergeburt der Genossenschaftsidee feiern. Und dann gibt es ja eine Vielzahl von Argumenten, die zwar nicht neu sind, die aber heute wie früher gegen weitere AKW-Bauten in der Schweiz (und auch anderswo) spreche – sie seien hier in aller Kürze in Erinnerung gerufen und mit Fragen eingeleitet:

- Wer baut und wer investiert? Die Stromkonzerne der Schweiz haben auf jeden Fall der Atomenergie eine deutliche Absage erteilt - so etwa die Axpo, deren neuer Chef Christian Brand bei allen Einwänden sich durchaus zur Energiestrategie 2050 (ohne AKW) bekennt.

- Was kostet der Strom aus einem allfälligen neuen AKW? Atomstrom aus neuen AKW, die irgendwie mit Schweizer Verhältnissen korrespondieren (also in Finnland, Frankreich und Grossbritannien) wird über 13 Eurocent kosten für die Kilowattstunde. Das ist jenseits jeglicher Konkurrenzfähigkeit mit dem Strompreis Erneuerbarer Energien aus Wind und Sonne. 

- Wer versichert die Risiken neuer AKW? Bezeichnenderweise ist davon seitens der Befürworter wiederum nicht die Rede. Wie schon bisher, wird stillschweigend davon ausgegangen, dass dies sicher nicht die Betreiber sind. Mit anderen Worten, der Staat wird dann schon einspringen und keinerlei Versicherungskosten eingepreist.

 - Woher die Technologie (weiss Blocher selber nicht)? Es ist effektiv die Rede von bis zu sechs verschiedenen Arten neuer Atomreaktoren. Man beachte - sie sind allesamt nur als theoretische Modelle bekannt, vereinzelt als Projektbetrieb (Small Reactor auf russischem Schiff),  im Grosseinsatz aber noch überhaupt nirgends erprobt. Wollen wir in der Schweiz solch einen Probebetrieb - und wer zahlt den dann?

- Wohin mit dem Abfall (den gibt es ja, simsalabim plötzlich gar nicht mehr, da wiederverwertet)? Das ist die Uraltgeschichte dieser Technologie - und eine Lösung weiterhin nur in der Ferne, vielleicht in einem unterirdischen Lager in Finnland - vielleicht aber auch vor unserer Haustüre im Gebiet der Lägern im Zürcher Unterland.....

- Wie sieht eine umfassende Umweltbilanz von Atomkraftwerken aus? Noch ist eine Beurteilung mit der Methode der Umweltbelastungspunkte ausstehend - auf jeden Fall ist die Gleichung Kernenergie = Umweltschutz gemäss einer solchen eben sicherlich ein Fehlschluss.

- Wie viel kostet eigentlich der Rückbau in Mühleberg, auch in CO2-Einheiten gemessen? Auch ein Punkt, der bislang tunlichst umschifft wird. Gerne wird behauptet, die Kosten der Rückbauten seien durch die beiden Fonds gedeckt. Wenn man das auch gern glauben würde: Deren ständig zu beobachtende Steigerung sowie die fehlende CO2-Bilanz des Rückbaus machen stutzig. 


Fazit: Es gibt wahrlich viele Punkte, die AKW-Neubauten fragwürdig erscheinen lassen. Aber es gibt noch deren viel mehr, die für eine alternative Anwendung Erneuerbarer Energien sprechen. Deren zweifellos auch vorhandene Probleme scheinen im Vergleich zu jenen der Atomtechnologie dann doch als Pipifax! 


Man mag also Martullo’s Idee nicht so recht ernst nehmen. Einmal abgesehen davon, dass sie vielleicht nur immer ihrem Vater nacheifern und dessen Achtung suchen will  - er, der eine seiner wenigen politischen Niederlagen im Atomdisput erlitt mit der Beerdigung des Kaiseraugst-Projekts, sich diese Niederlage aber mit hunderten Millionen Schadenersatz quasi vergolden liess. Ein Schelm, wer gleiches von seiner Tochter denkt.  

 

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