Der
rasante Zubau an Photovoltaik-Kraftwerken auf Freiflächen in
Deutschland im vergangenen Jahrzehnt rückt die steigende
Landnutzungskonkurrenz zwischen der Produktion von erneuerbaren Energien
und Nahrungsmitteln immer mehr in den Fokus. Forscher des
Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg haben
jetzt eine frühe Idee ihres Institutsgründers aufgegriffen und
realisieren sie in Zusammenarbeit mit Forschenden vom Karlsruher
Institut für Technologie (KIT) und der Universität Hohenheim sowie
Wirtschaftspartnern.
Die von Prof. Dr. Adolf Goetzberger vorgedachte
Agrophotovoltaik (APV) stellt eine technische Lösung zur optimierten
Nutzung der begrenzten Ressource Land dar, da sie für eine gleichzeitige
Landnutzung sowohl für die Produktion von Energie als auch von Nahrung
steht. Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte
Forschung folgt dem »Living Lab«-Prinzip, welches auf inter- und
transdisziplinäre Zusammenarbeit ausgerichtet ist. Innerhalb des
Projekts wird ein Innovationskonzept für die APV-Technologie erarbeitet.
Die erste Modellregion wird in dem im März 2015 startenden Pilotprojekt
die Region Bodensee-Oberschwaben sein.
Die Agrophotovoltaik als Lösungsansatz: Der
Landwirtschaftssektor steht vor der Herausforderung, sowohl die
Anpassung an den Klimawandel als auch den starken Ausbau der
erneuerbaren Energien und den damit einhergehenden Wandel von
Kulturlandschaften zu Energielandschaften zu bewerkstelligen. Neben dem
Interessenkonflikt zwischen Nahrungsmittel- und Energiesicherheit bringt
dieser auch Akzeptanzprobleme gegenüber dem Bau und Betrieb von Anlagen
und Infrastruktur zur Gewinnung erneuerbarer Energien mit sich. Die
Landnutzungskonkurrenz nimmt dabei durch die Wettbewerbsvorteile von
Freiflächenanlagen zu. Sie sind auf weiterhin sinkende Photovoltaik
(PV)-Systemkosten und damit Stromgestehungskosten von deutlich unter 10
ct/kWh zurückzuführen. Hier könnte die Agrophotovoltaik ein
Lösungsansatz sein: ein Anbausystem zur Produktion von
landwirtschaftlichen Gütern unterhalb von PV-Freiflächenanlagen, das die
Erträge aus Photovoltaik und Photosynthese, also die gleichzeitige
Ernte von Solarstrom und Lebensmitteln, optimiert. »Dieser Ansatz,
Sonnenenergie auf der gleichen Fläche für Nutzpflanzen und für
Solarstromproduktion zu verwenden, könnte sich zu einem weltweit
interessanten Beispiel entwickeln«, meint Prof. Eicke R. Weber,
Institutsleiter des Fraunhofer ISE.
Mit einem inter- und
transdisziplinären Forschungsansatz startet im März 2015 in der
Modellregion Bodensee-Oberschwaben ein Pilotvorhaben, in dessen Rahmen
im kommenden Jahr eine erste 190 kWp leistungsstarke APV-Anlage auf
Ackerflächen der Demeter-Hofgemeinschaft Heggelbach installiert wird.
Agrarwissenschaftliche, sozialpolitische, ökonomische und ökologische
Analysen begleiten das Projekt ebenso wie die Frage und Möglichkeiten
der Einbindung der Bedürfnisse und nicht zuletzt der kreativen
Potenziale lokaler Stakeholder in die Technologieentwicklung. Ein
Schwerpunkt ist dabei der Feld- und Gemüsebau. Im Bodenseekreis betrug
der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch 2013 ca. 12 %,
während er im Bundesdurchschnitt bei 25,5 % lag. Ein Grund hierfür sind
unter anderem die Probleme, die bei anderen Formen erneuerbarer
Energiegewinnung entstehen: Beispielsweise sind Windkraftanlagen sehr
umstritten, da sie den Alpenpanoramablick stören könnten, und das
Biogaspotenzial ist aufgrund der Obst- und Hopfenanbaugebiete gering.
Die Agrophotovoltaik könnte hier eine zukunftsträchtige und nachhaltige
Lösung darstellen, mit hoher Übertragbarkeit auf andere Regionen. Das
technisch erschließbare APV-Potenzial in Deutschland wird auf 25 bis 50
GWp geschätzt. Zum Verhältnis: Ende 2014 waren in Deutschland ca. 39 GWp
Photovoltaik Nennleistung installiert, davon ca. 9 GWp auf Acker- und
Konversionsflächen.
Erste Studien des Fraunhofer ISE legen nahe, dass bestimmte
Feldfrüchte, wie z.B. Kartoffeln oder Salat, mit verringerter
Sonneneinstrahlung sogar besser wachsen. Grundsätzlich sind zeitlich
gemittelt gleichmäßige Einstrahlungsverhältnisse unter PV-Anlagen
möglich. Da entsprechende Projekte vornehmlich durch Landwirte,
Gemeinden und kleine und mittlere Unternehmen ins Leben gerufen würden,
könnte die APV damit das lokale Unternehmertum unterstützen und so die
Wertschöpfung in der Region sowie die ländliche Entwicklung fördern.
Projektpartner
Die Partner dieses Projekts sind neben dem
Fraunhofer ISE, das die Projektleitung übernimmt und für den technischen
Teil zuständig ist: die Universität Hohenheim, für die
agrarwissenschaftliche und ökologische Analyse; das Institut für
Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Karlsruher
Instituts für Technologie (KIT), für die Konzeption und Realisierung des
»Living Lab«-Ansatzes, der lokale Bevölkerung und Stakeholder in die
Technologieentwicklung einbezieht; der Energieversorger EWS-Schönau für
die Stromabnahme, BayWa r.e., für die APV-Anlagenprojektierung und
Betriebsführung sowie die Demeter Hofgemeinschaft Heggelbach, auf deren
Ackerflächen die Praxistauglichkeit erforscht werden soll. Der
Regionalverband Bodensee-Oberschwaben, mit Sitz in Ravensburg,
unterstützt das Projektvorhaben auf regionaler und kommunaler Ebene. Dem
Projektbeirat gehören u.a. der Bundesverband Solarwirtschaft, der
Landesbauernverband in Baden-Württemberg und der Bund für Umwelt und
Naturschutz Deutschland (BUND), Landesverband Baden-Württemberg an.
»Nachhaltiges Landmanagement« ist seit 2010 Querschnittsthema einer
Fördermaßnahme des Bundesministeriums für Bildung und Forschung BMBF. Es
steht im Kontext der Ziele der Hightech-Strategie 2020 der
Bundesregierung, insbesondere der dort genannten Bedarfsfelder
Klima/Energie und Gesundheit/Ernährung. Ziel der Forschung zum
nachhaltigen Landmanagement ist die Entwicklung neuer, nachhaltiger und
praktikabler Lösungen für Regionen, die vor dem Hintergrund klimatischer
und wirtschaftlich-struktureller Veränderungen vor besonderen
Herausforderungen stehen.
Weiterführende Ideen für APV-Anwendungen sind der Obst-, Wein- und
Hopfenanbau, aber auch Landbau in besonders niederschlagsarmen Gebieten.
So möchte das Fraunhofer ISE in Ägypten Dieselgeneratoren durch
APV-Anwendungen ersetzen und dabei durch den gleichzeitigen Aufbau von
Wasseraufbereitungs- und Wasserverteilungssystemen Aspekte der
Nahrungsmittel-, Energie- und Wasserversorgungssicherheit
berücksichtigen.
Quelle: Fraunhofer ISE
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