Der Preisrückgang bei fossilen Brennstoffen
hat den alternativen Energien nicht das Licht ausgeknipst. Manche von
ihnen leuchten vielmehr recht hell.
Bei Erdöl gab es schon seit jeher Phasen des Auf- und
des Abschwungs. In manchen Jahren trinkt die Erdölbranche Champagner, in
anderen verpfändet sie die Kelche, aus denen sie ihn vorher trank. Wird
also der aktuelle Preisverfall um 50 Prozent die wirtschaftliche
Grundlage der alternativen Energien vernichten, wie es beim letzten
Crash Mitte der 1980er Jahre der Fall war? Nein, so das Global Energy
Team der Credit Suisse. Erstens ist der derzeitige Angebotsüberhang
deutlich geringer als noch vor drei Jahrzehnten. Das Team erwartet, dass
sich die Preise bereits im Laufe des Jahres erholen werden. Zweitens
spielt Öl bei der Stromerzeugung, wo erneuerbare Energien das grösste
Wachstum verzeichnen, mit lediglich 4 Prozent der weltweiten
Stromproduktion ohnehin nur eine kleine Rolle. Drittens haben
Regierungen diesmal einen weiteren wichtigen Grund, erneuerbare Energien
zu fördern: Sie bieten die dringend benötigten Vorteile geringerer CO2-Emissionen und besserer Luftqualität.
Während die Öl- und Gasmärkte taumeln, dürften
erneuerbare Energien daher ihren Aufstieg im Jahr 2015 fortsetzen. Es
folgt ein Überblick über das «saubere halbe Dutzend» – die wichtigsten
Arten unerschöpflicher Energiequellen.
Strahlende Solarenergie
Bis vor Kurzem war Photovoltaik noch eine
Nischentechnologie – gut geeignet, um Taschenrechner oder Raumstationen
mit Energie zu versorgen, aber zu teuer für die konventionelle
Stromerzeugung. Doch diese Zeiten gehören dem «2015 Solar Outlook» der
Credit Suisse zufolge der Vergangenheit an. Solarkollektoren erzeugen
aktuell nur 1,2 Prozent der Elektrizität, aber dank zweier Trends wird
bis 2020 eine annähernde Vervierfachung der Kapazitäten erwartet. Zum
einen sind die Kosten in den letzten sieben Jahren um enorme 80 Prozent
gefallen. Die Branche durchläuft eine klassische «Lernkurve», bei der
Produkte und Produktionsverfahren ständig besser werden. Dies führt
dazu, dass es in Australien, Spanien, Deutschland, Chile, Italien und
fünf weiteren Ländern für Hausbesitzer billiger ist, Solaranlagen zu
installieren, als das örtliche Stromnetz anzuzapfen. Zum anderen sind
derzeit einige grosse Projekte im Gange. China, Indien, die Europäische
Union und die USA verfügen allesamt über grössere Programme (oder
Anreize) zum Aufbau von mehreren hundert Gigawatt zusätzlicher Kapazität
in den kommenden zehn Jahren. Der Ausblick: sonnig.
Wachsende Windkraft
Unser Horizont hat sich stark verändert – im wahrsten
Sinne des Wortes. Heutzutage ist es nahezu unmöglich, vom Flugzeug, Zug
oder Auto aus die Landschaft zu betrachten, ohne riesige Rotorblätter in
den Himmel ragen zu sehen. Man kann davon ausgehen, künftig noch mehr
Windkraftanlagen zu Gesicht zu bekommen, so ein Bericht der Credit
Suisse mit dem Titel «China Power Equipment Sector». Dieser
prognostiziert eine Verdreifachung der Kapazität im Zeitraum 2013–2020,
was bis zum Ende des Jahrzehnts 12 Prozent des weltweit erzeugten Stroms
entsprechen wird. Immer mehr neue Windparks werden im Meer gebaut. Auf
der offenen See weht der Wind oft gleichmässiger und es steht mehr Platz
zur Verfügung. Vor den Küsten Englands, Dänemarks, Deutschlands und
Belgiens stehen bereits riesige Generatoren und es sind weitere geplant;
nicht nur in der Nordsee und umliegenden Seegebieten, sondern auch vor
China und den USA. Die Kosten der Windenergie sind Brancheninsidern
zufolge höher als ursprünglich erwartet und die Stillstandsdauer (wenn
der Wind zu stark oder zu schwach weht) höher als anfangs eingeplant.
Der Ausblick lautet trotzdem: Rückenwind.
Wuchtige Wasserkraft
Heutzutage ist Wasserkraft die älteste der erneuerbaren
Energien. Wasser hat den Beginn der industriellen Revolution in der
Mitte des 18. Jahrhunderts vorangetrieben. Bereits um 1880 wurden erste
kommerzielle Kraftwerke an Orten wie den Niagarafällen an der
amerikanisch-kanadischen Grenze gebaut. Aber alt bedeutet nicht
veraltet. Obwohl Wasserkraft mit Abstand die am weitesten entwickelte
erneuerbare Energie ist (sie erzeugt ein Sechstel des weltweiten
Stroms), wächst sie ausgehend von dieser starken Basis immer noch robust
weiter. Von 2013–2020 wird dem «China Power Equipment Sector»-Bericht
der Credit Suisse zufolge die Kapazität von Wasserkraft um beinahe zwei
Drittel steigen. Viele der grössten Neukapazitäten werden in China
entstehen, der Heimat des weltgrössten Wasserkraftwerks in der
Drei-Schluchten-Region am Jangtsekiang, sowie im benachbarten Indien.
Projekte in beiden Ländern unterstreichen die Vorteile der Wasserkraft:
kostengünstige und CO2-arme Stromerzeugung. Und sie zeigen
auch die Nachteile: gewaltige potenzielle Störungen für Mensch und
Natur, flussauf- und flussabwärts. Der Ausblick: schnelle Strömung.
Grossartige Geothermie
Der Begriff «Wärmepumpe» mag zunächst etwas rätselhaft
klingen, aber die meisten von uns haben täglich mit solchen Geräten zu
tun, und zwar in Form von Kühlschränken und Klimaanlagen. Eine typische
Klimaanlage ist in der Tat nahezu identisch mit einer Wärmepumpe – mit
dem Unterschied, dass eine Wärmepumpe üblicherweise Wärme in ein Gebäude
hinein und eine Klimaanlage diese aus einem Gebäude hinaus
transportiert. Die meisten funktionieren elektrisch (und einige wenige
werden mit Gas betrieben), was bedeutet, dass sie im Gegensatz zu
Solarenergie, Windenergie und Wasserkraft nicht «fast CO2-frei» sind. In vielen Ländern sind ihre CO2-Emissionen
relativ gering, aber unter bestimmten Umständen – etwa wenn der Strom
mit Kohle erzeugt wird – stossen sie mehr Treibhausgase aus als ein
konventioneller Boiler, der mit Heizöl, Gas oder Flüssiggas betrieben
wird. Obwohl Wärmepumpen weniger als 1 Prozent des weltweiten Stroms
erzeugen, wird mehreren Marktstudien zufolge bis zum Ende des Jahrzehnts
ein anhaltendes jährliches Wachstum von 10 Prozent erwartet. Eine
ähnliche Steigerung bei der Stromerzeugung erwartet man ebenfalls von
einer anderen Art der Geothermie, die manchmal als «Hot Rocks» (heisses
Gestein) bezeichnet wird. Hierbei werden Dampf und Wasser unterirdisch
zur Erzeugung von Strom oder zum Heizen genutzt. Nach Angaben des
Renewable Energy Policy Network, einem dem Umweltprogramm der Vereinten
Nationen nahestehenden Think Tank, konzentrieren sich solche Projekte
auf Gebiete, in denen heisses Gestein nahe der Erdoberfläche liegt. Zu
den recht naheliegenden Standorten gehören Island, Neuseeland, Japan und
die Türkei, aber es gibt auch erhebliche Kapazitäten in den USA, auf
den Philippinen, in Indonesien, Mexiko und Kenia. Der Ausblick: es wird
heisser.
Offener Ozean
Die am wenigsten bekannte erneuerbare Energie ist die
sogenannte Meeresenergie. Und das aus gutem Grund: Sie erzielt die
geringsten Erfolge. Ein Ansatz besteht in der Nutzung der Gezeiten, die
an Orten wie der kanadischen Bay of Fundy oder dem englischen
Bristolkanal gewaltig sein können, um elektrische Turbinen anzutreiben.
Das klingt toll, aber weltweit sind nur 10 solcher Kraftwerke in Betrieb
und die meisten werden eher zu Forschungs- als zu wirtschaftlichen
Zwecken genutzt. Ein weiterer Ansatz ist die Nutzung von Wellenenergie
zur Stromgewinnung. Die Meeresbrandung kann eine Turbine oder einen
Kolben antreiben, oder in einer als «Pelamis» oder «Seeschlange»
bezeichneten Anlage beides tun. Der letztgenannte Ansatz weist einige
Ähnlichkeiten mit der Geothermie auf. Mit Meereswärmekraftwerken, auch
OTEC («Ocean Thermal Energy Conversion») genannt, wird durch die
Verbindung von kaltem Wasser aus der Tiefe mit warmem Wasser von der
Oberfläche eine stromerzeugende Wärmepumpe geschaffen. Es klingt
sonderbar, aber experimentelle Kraftwerke vor den Küsten von Brasilien,
Kuba, Hawaii und Japan haben bewiesen, dass das Konzept funktioniert.
Sie konnten allerdings nicht beweisen (und das gilt auch für die
Wellenenergie), dass sich ihre enormen Investitions- und Wartungskosten
reduzieren lassen, damit sie rentabel betrieben werden können. Der
Ausblick: Ebbe.
Boomende (und bankrottierende) Biotreibstoffe
Biotreibstoffe sind nichts für schwache Nerven. Die
Branche hat einige Erfolge vorzuweisen, aber dafür auch eine
bemerkenswerte Reihe von Fehlschlägen und Konkursen. Probleme sind in
der Regel Unterkapitalisierung, wechselhafte staatliche Anreize oder
eine Mischung aus diesen Faktoren so Russell Heinen, Senior Director bei
dem Beratungsunternehmen IHS. Zum Beispiel mussten mehrere
Biodieselproduzenten in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrzehnts
aufgeben, als ein europäisches Land nach dem anderen die grosszügigen
Steuerbefreiungen zurücknahm. Bioethanolproduzenten zeigten sich
stabiler, da sie durch die Regierungen Brasiliens und der USA
konsequenter unterstützt wurden (was für alle erneuerbaren Energien
wesentlich für den Erfolg ist). Aktuellerer Natur ist der Boom von
Holzspänen und Pellets, die in immer grösseren Mengen zur Verbrennung in
Kraftwerken aus den USA nach Europa transportiert werden. Analysten
warnen jedoch, dass Veränderungen bei den undurchsichtigen Regelungen zu
erneuerbaren Energien und Emissionsrechten das Wachstum in Windeseile
stoppen können. Der Ausblick: auf und ab.
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