Wie steht es um die künftige Energieversorgung und die
Versorgungssicherheit, wenn die Schweiz bis 2050 das Netto-Null-Ziel
erreichen will? Die Energieperspektiven 2050+,
die im November 2020 publiziert wurden, geben Antworten darauf. Ein
wichtiges Thema dabei ist zum Beispiel die Stromversorgung der Schweiz
im Winterhalbjahr. Dazu liegt nun ein ergänzender Exkurs vor – ebenso einer zur Rolle der Biomasse in der künftigen Energieversorgung.
Michael
Kost ist im Bundesamt für Energie Leiter der Sektion Analysen und
Perspektiven. Energeiaplus hat bei ihm nachgefragt, welche Bedeutung
diese Exkurse haben und was die wichtigsten Erkenntnisse sind.
Energeiaplus: Knapp 70 Seiten umfasst der Exkurs zur Winterstrom-Versorgung. (Französische Version hier)
Es ist eine umfassende Zusammenstellung, welche den Status Quo, die
mögliche Entwicklung und die zentralen Optionen der Schweizer
Stromversorgung im Winterhalbjahr einbezieht. Warum die gesonderte
Betrachtung dieses Themas?
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Michael Kost leitet die Sektion Analysen und Perspektiven im Bundesamt für Energie; Bild: BFE |
Michael
Kost: Bereits heute ist die Schweiz im Winter ein Netto-Stromimporteur.
Dies wegen des höheren Strombedarfs während der kalten Monate und des
hohen Anteils der Wasserkraft an der Stromerzeugung, die im Winter
weniger liefert. Im Sommer ist die Schweiz hingegen ein Netto-Exporteur.
Wenn die Kernkraftwerke nach und nach vom Netz gehen, wird sich die
Winter-Importsituation mittelfristig, das heisst in den 2030er Jahren,
vorübergehend verschärfen, bis gegen 2050 genügend erneuerbare
Anlagen wie Photovoltaik, Windenergie inländisch produzierten Strom
liefern.
Durch den Abbruch der Verhandlungen über ein
Rahmenabkommen mit der EU liegt auch das geplante Stromabkommen nun auf
Eis. Dadurch ergeben sich bereits kurz- bis mittelfristig gewisse
Unsicherheiten bezüglich der Winterstromversorgung (siehe Medienmitteilung des Bundesrates vom 13. Oktober 2021).
Die Energieperspektiven 2050+ sind auf diese kurze Frist aber nur
bedingt aussagekräftig. Ihr Fokus liegt darauf, in verschiedenen
Szenarien Erkenntnisse zur längerfristigen Versorgungslage zu liefern.
Die
bisher publizierten Ergebnisse der Energieperspektiven 2050+
fokussieren auf die jährliche beziehungsweise auf die saisonale
Betrachtung. Gerade bei der Diskussion über die Stromversorgung im
Winter ist aber eine detailliertere Analyse, eine feinere zeitliche
Auflösung notwendig. Deshalb werden im Exkurs auch wöchentliche und
stündliche Analysen der Szenarienergebnisse dargestellt und diskutiert.
Was ist die Haupterkenntnis des Exkurses zum Winterstrom?
Auch
wenn künftig die Winteranteile der Schweizer Stromerzeugung tiefer sind
als heute und nach dem Kernenergieausstieg mehr Strom importiert werden
muss, kann der Strombedarf auch im Winterhalbjahr zu jeder Stunde
gedeckt werden. Das zeigen die Szenarien der Energieperspektiven 2050+.
Sie gehen davon aus, dass die europäischen Nachbarn zur Erreichung
der Klimaziele ebenfalls ihre Energiesysteme umstellen und es keine
technischen oder politischen Handelsrestriktionen für den Stromaustausch
mit dem Ausland gibt.
Wichtig ist: Es wird zwar Stunden geben, in
denen die Schweiz keinen Strom importieren kann, aber in der Regel wird
der Import möglich sein. Ausserdem: Die Speicher- und
Pumpspeicherkraftwerke, die Batteriespeicher bei Photovoltaikanlagen,
die flexiblen Lademöglichkeiten der Elektromobile, oder die flexible
Steuerung von Wärmepumpen verleihen dem Schweizer Stromsystem eine hohe
Flexibilität. Das ermöglicht auch im Winter den Ausgleich über Stunden
oder Tage. Davon profitiert nicht nur die Schweiz, sondern auch das
Ausland.
Kann man auf Grund dieser Zusammenstellung Aussagen über die zukünftigen Herausforderungen machen?
Es
braucht einen raschen Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion inklusive
der Wasserkraft. Daneben gilt es, die Flexibilitätspotenziale auf der
Verbraucherseite auszunutzen. Diese entstehen insbesondere auch bei
neuen Stromverbrauchern wie Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen. Wichtig
ist ebenfalls, dass die Schweiz in den europäischen Strommarkt
eingebunden bleibt und die Stromnetze entsprechend den Bedürfnissen
weiterentwickelt werden.
An wen richtet sich dieser Exkurs?
Der
Exkurs ist eher technisch und richtet sich an all jene, die sich
vertieft mit der Stromversorgung im Winter auseinandersetzen wollen.
Ein weiterer Exkurs wurde dem Thema Biomasse gewidmet. Warum zu diesem Thema?
Erneuerbare
Energieträger wie Holz und Biogas können vielfältig eingesetzt werden
und spielen bei der Dekarbonisierung des Energiesystems eine tragende
Rolle. Aber die nachhaltigen Biomassepotenziale sind begrenzt. Künftig
wird es wichtig sein, die vorhandene Biomasse am richtigen Ort
einzusetzen.
Was zeigt dieser Exkurs auf?
Die
einheimischen Biomassepotenziale müssen ausgeschöpft werden. Es kann
auch eine gewisse Menge nachhaltiger Biomasse zum Beispiel in Form von
Biogas importiert werden. Die beschränkten Biomassepotenziale sind als
Ersatz für fossile Brennstoffe dort einzusetzen, wo die Elektrifizierung
schwierig ist.
Hierzu gehören beispielsweise
Hochtemperaturprozesswärme in der Industrie oder die Bereitstellung von
Spitzenlast in Wärmenetzen. Wird die Wärme mittels Wärme-Kraft-Kopplung
(WKK) erzeugt, kann so auch erneuerbarer Strom erzeugt werden. Hierzu
gibt es mehr Informationen im bereits publizierten Exkurs zu den
WKK-Anlagen.
Welche Rolle wird Biomasse in der künftigen Energieversorgung spielen?
Biomasse
spielt auch in Zukunft bei der Wärmeversorgung der Gebäude eine nicht
zu vernachlässigende Rolle, wobei hier vermehrt Wärmenetze zum Einsatz
kommen. Längerfristig spielt Biogas in der Industrie eine bedeutende
Rolle bei der Bereitstellung von Hochtemperaturprozesswärme. Es ersetzt
hierbei das fossile Erdgas. Der in Kehrichtverwertungsanlagen genutzte
biogene Abfall bleibt ein wichtiger biogener Energieträger zur Strom-
und Fernwärmeerzeugung.
Nebst der Erzeugung von nahezu
treibhausgasneutraler Wärme und Strom ist die Biomasse auch von hoher
Bedeutung für die Erzeugung von negativen Emissionen. Werden grössere
Biomassefeuerungsanlagen und Kehrichtverwertungsanlagen mit Carbon
Capture and Storage (CCS) kombiniert, kann bei der Verbrennung das CO2
abgeschieden und nachträglich dauerhaft gespeichert werden. Hierzu ist
im bereits publizierten Exkurs zu Carbon Capture & Storage (CCS) und
Negativemissionstechnologien (NET) mehr zu erfahren. Sie finden den
Artikel hier.
Interview: Brigitte Mader, Kommunikation, Bundesamt für Energie
Quelle: energeiaplus.com
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