Sonntag, 24. Oktober 2021

AKW-Offensive ins Leere

Seit Wochen machen eingefuchste Kreise wieder mobil für neue Atomkraftwerke in der Schweiz. Das begann mit Pro-Atom-Artikeln dort, wo sie eigentlich nie aufhörten zu erscheinen wie in der Weltwoche oder im Nebelspalter seit dessen Umorientierung. Dann zogen die Neue Zürcher Zeitung nach und auch Wirtschaftsverbände, die sich wie Economiesuisse 2017 anlässlich der Abstimmung über die Energiestrategie im Referendumskampf noch für diese – und damit auch für ein Verbot neuer Atomreaktoren – ausgesprochen hatten. Doch es gibt andere Stimmen wie jene des Axpo-CEO, der sich offen gegen neue AKW ausspricht.

Es ist müssig darüber zu rätseln, warum gewisse Kreise wieder auf den atomaren Zug aufzuspringen versuchen. Doch dieser Zug verlässt trotz allem Bemühen nicht einmal den Bahnhof. Geschweige denn, dass er auf offener Strecke (also beim Finanzierungsversuch und beim Bau) höchstwahrscheinlich Schiffbruch erleiden wird. Auch die SRF-Sendung Standpunkte der Sonntagszeitung versuchte sich mit einem alles andere als neutralen Diskussionsleiter Reto Brennwald sonntags am Thema (siehe Bild oben).

Auf die Wiedergabe einzelner Statements von Exponenten, die sowohl wirtschaftlich wie politisch in dieser Diskussion eher als Leichtgewichte anzusehen sind (etwa der Nebelspalter-Journalist Dominik Feusi, die Energievereinspräsidentin Vanessa Meury, einzelne Mitte-Politiker und diverse SVP-Kader) sei hier verzichtet. Hingegen auf einige der vorgebrachten Argumente eingegangen:

Mit AKW lasse sich der befürchtete Stromengpass im Winter verhindern: Wenn denn stimmte, dass die Schweiz durch das Abstellen der noch laufenden vier AKW und durch zusätzlichen Strombedarf (E-Mobilität, Wärmepumpen in Gebäuden) bis zu über 70 Terawattstunden (TWh) neuer Anlagen für die Stromproduktion benötigt, so hilft ein neues AKW wahrlich wenig. Denn dieses erzeugte allenfalls deren zehn TWh. Gleich mehrere zu erstellen, ist politisch in der Schweiz sicher noch unrealistischer, als ein paar Windkraftanlagen zu erstellen.

Der befürchtete Stromengpass werde bereits zwischen den Jahren 2025 und 2030 eintreten, jedoch: Wer glaubt, bis dann in der Schweiz auch nur ein AKW erstellt zu haben, glaubt an weiss was. Selbst das nun plötzlich sehr schnell erstellte neue AKW in Dubai benötigte selbst nach Aussagen der Energieclub-Vertreterin Vanessa Meury deren zehn Jahre. Und dort handelte es sich keinesfalls um diese sagenhaften Mini-AKW, die nun als Wundermittel gelten - aber noch rein gar nicht existieren (selbst Polen hat deren Projektierung wieder abgeblasen). Ein einziges russisches Projekt auf dem sibirischen Meer ist in Funktion ohne nähere Leistungsangaben (eine deutsche TV-Crew durfte es nicht einmal betreten geschweige denn filmen). Bill Gates auf der anderen Seite ist seit mehr als einem Jahrzehnt am Entwerfen, ohne absehbares Ende.

Das Problem mit dem Atommüll gilt für die Schweizer Atomapologeten als gelöst. Ist es aber nicht! Denn selbst die durch die Nagra vorgeschlagenen Endlager-Gemeinden sind noch längst nicht an Bord. Gerade zu erheiternd ist das Argument, dass der Atommüll pro Einwohner in einer Cola-Büchse Platz habe (macht dann hierzulande also acht Millionen Cola-Dosen). Dass Brennstäbe und Müll problemlos wiederzuverwerten sind (noch keine einzige praktikable Anlage) und dass Atomenergie CO2-frei sei, sind reine Behauptungen. Die Erneuerbaren letzterer weisen immer bessere Werte auf und wenn schon, so sind sie bestens für die Kreislaufwirtschaft geeignet. Belastungen sind auch immer für die ganze Umwelt zu berücksichtigen, wenn auch CO2 ein wichtiges Element darstellt.

All diesen Träumen der Befürworter*innen (die gern auch das bestehende Verbot im Energiegesetz vergessen) den Todesstoss versetzt hat die Absage des CEO des grössten Schweizer Energiekonzern, wohlgemerkt beteiligt an bestehenden AKW. Christoph Brand liess sowohl an einer Medienpräsentation (siehe Solarmedia vom 21. Oktober 2021) also auch in der Zeitung Schweiz am Wochenende keinen Zweifel: Neuer Atomstrom ist doppelt so teuer wie Strom aus modernen Anlagen der Erneuerbaren Energien (Sonne, Wind, Wasser). Und ein derzeit herbeigeredetes Speicherproblem ist technisch längst gelöst und kommt derzeit in die Anwendung (wohlgemerkt also weiter als die Atomträume). Zur Haltung der Axpo passt übrigens jene des grössten deutschen Energiekonzerns: RWE will Atomkraftwerke nicht weiter betreiben – Erneuerbare Energien sind wirtschaftlich attraktiver!

Und noch ein heiterer Vergleich aus Twitter (vom Grünen-Präsident Balthasar Glättli): AKW als Lösung?! Wer Atomkraftwerke fordert gegen eine mögliche Strommangellage in den nächsten paar Jahren, handelt wie jemand, der im Moment, da sich eine Lawine löst, die Schaufel nimmt und beginnt, einen Zivilschutzbunker zu bauen.

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