Die Vereinigung NWA hat Aussagen des Bundesrats im Abstimmungsbüchlein zur Atomausstiegs-Initiative kritisch durchleuchtet. Ein Faktencheck zu den Behauptungen im Abstimmungsbüchlein des Bundesrats - in sieben Schritten:
Behauptung 1: «In der Schweiz gibt es fünf Kernkraftwerke (KKW). (…) Sie produzieren rund 40 Prozent des Schweizer Stroms.» (Seite 5)
Fakt
ist: Es gibt vier AKW die Strom produzieren können. Beznau 1 ist vom
Netz und wird nie mehr ans Netz gehen. Die Illusion, dass Beznau 1 je
wieder ans Netz gehen könnte, wird von der Axpo noch bis am 27. November
2016 aufrecht erhalten. Danach wird die Katze aus dem Sack gelassen.
Aktuell
produzieren sogar nur drei AKW, seit auch das AKW Leibstadt still
steht, und die bringen nur 52% der Schweizer AKW-Leistung.
Die
Schweizer AKW haben 2015 nur 33,5% zur Landesproduktion beigetragen,
2016 werden es weniger als 30% sein. Es fehlt ganzjährig der Reaktor
Beznau 1, und vom 2. August 2016 bis in den Frühling 2017 fehlt
Leibstadt.
Interessanterweise funktioniert
alles, obwohl 48% der Schweizer AKW-Leistung fehlen. Bei einem Ja zum
geordneten Atomausstieg müssten Ende 2017 lediglich 33% der Schweizer
AKW-Leistung stillgelegt werden, also viel weniger als heute schon
fehlt, wo zwei AKW aus Altersschwäche ausgefallen sind.
Behauptung 2: «Falls nötig, kann das ENSI die sofortige Abschaltung anordnen.» (Seite 6)
Schön
wärs, wenn das ENSI das könnte. Das ENSI hätte gewollt, dass es das in
Zukunft könnte, und hat daher die Einführung eines
Langfristbetriebskonzepts im Kernenergiegesetz gefordert. Was das
bürgerliche Parlament abgelehnt hat.
Damit kann
das ENSI wie bisher ein AKW nicht vorsorglich stilllegen, sondern muss
warten bis es kaputt geht. Muss zuschauen, wie die Risse im Kernmantel
immer grösser werden, und wenn die Risse die Ausserbetriebnahmegrenze
überschreiten, dann... misst der Betreiber die Risse nicht mehr, und das
ENSI nickt. So geschehen in Mühleberg. Auf die im August 2015 vom ENSI
verlangten und im Dezember 2015 vom ENSI verfügten genauen
Ultraschallmessungen und ausserordentlichen Messungen der Risse im
Kernmantel hat das ENSI im August 2016 spontan verzichtet.
Dasselbe
soll nun auch in Beznau so laufen. Die Axpo-Anwälte erachten die
Ausserbetriebnahmeverordnung des Bundes als «unheilbar nichtig» und
haben beschlossen, dass sich die Axpo nicht daran halten müsse. Damit
fehlt dem ENSI jegliche Grundlage, Beznau 1 vom Netz zu nehmen – egal
wie gefährlich es ist. Doris Leuthards Konzept des «weiterbetreiben
solange sicher» hat sich damit in Luft aufgelöst.
Behauptung 3:
«Bei Annahme der Initiative greift der neue Verfassungsartikel sofort:
Drei der fünf KKW müssten 2017 abgeschaltet werden.» (Seite 7)
Dieser
Punkt ist eindeutig falsch. So wenig, wie sich die Alpeninitiative, die
Mutterschaftsinitiative und die Einwanderungsinitiative nach der
Abstimmung von selbst erfüllt haben, so wenig greift die
Ausstiegsintitiative «sofort» automatisch.
Das
Departement von Doris Leuthard, das UVEK, muss den betroffenen AKW
Betreibern eine Sachverfügung schicken. Die Betreiber können diese
Verfügung anfechten, zuerst ans UVEK, dann ans Bundesverwaltungsgericht,
dann ans Bundesgericht.
Kommt hinzu, dass nur zwei kleine alte AKW stillgelegt werden müssten. Beznau 1 ist ja bereits vom Netz.
Behauptung 4: «Die
Schweiz müsste deshalb bedeutend mehr Strom aus dem Ausland importieren
– hauptsächlich aus Deutschland und Frankreich. Dieser stammt unter
anderem aus Kohle- und Kernkraftwerken.» (Seite 7)
Die
Schweiz hat 2015 netto 1 TWh Strom exportiert, obwohl ihre AKWs wegen
Altersschwäche 4,3 TWh weniger als erwartet produziert haben. Hätte es
2015 die ausserordentlichen Ausfälle von Beznau 1 und 2 sowie Leibstadt
nicht gegeben, wäre 4,3 TWh Atomstrom mehr produziert worden. Bei
Normalbetrieb hätten wir 2015 einen Export von 5,3 TWh gehabt.
Wenn
man bei einem Export von 5,3 TWh die drei kleinen alten AKW mit 8,5 TWh
abschaltet, dann fehlen 3,2 TWh. Da aber 2016 bereits wieder 1 TWh
erneuerbare Produktionsanlagen ans Netz gegangen sind, fehlen noch ganze
2,1 TWh. 2017 wird wieder 1 TWh erneuerbare Produktion ans Netz gehen,
dann fehlen Ende 2017 noch 1,2 TWh.
Darum: Ja,
wir müssten ab 2018 1,2 TWh mehr Strom importieren als vor der
Stilllegung der drei kleinen alten AKW. Das ist ein Fünfunddreissigstel
der 42 TWh, die wir sowieso jedes Jahr importieren. Das verschwindet im
Grundrauschen der 42 TWh Import und 43 TWh Export, die wir sowieso
haben. Ab 2019 haben wir dann eh keinen zusätzlichen Import mehr, weil
wieder 1 TWh inländische erneuerbare Stromproduktion hinzugekommen ist.
Darum: Nein, wir müssten nicht bedeutend mehr Strom importieren.
Und:
Nein, es wäre nicht in erster Linie Kohlestrom, sondern genau wie heute
in erster Linie erneuerbarer Strom aus Deutschland und Österreich, in
zweiter Linie Atomstrom aus Frankreich, und in dritter Linie Kohlestrom
aus Deutschland.
Behauptung 5: «Es
ist nicht möglich, bereits 2017 genug einheimische erneuerbare Energie
zu produzieren. (…) Die Initiative würde die Abhängigkeit vom Ausland
erhöhen: Eine übereilte Abschaltung führt dazu, dass bedeutend mehr
Strom aus dem Ausland importiert werden muss. Schweizer KKW-Strom würde
mehrheitlich durch ausländischen KKW- Strom und Strom aus
umweltbelastenden Kohlekraftwerken ersetzt.» (Seite 12)
Selbst
der treueste Atomanhänger hat gemerkt, dass mit der Stromlücke niemand
mehr erschreckt werden kann. Also haben die PR-Strategen schnell die
Netzlücke erfunden. Offensichtlich zu schnell.
An
der Medienkonferenz am 11. Oktober 2016 sagte Yves Zumwald, CEO der
Swissgrid: Beznau 2 könne erst abgeschaltet werden, wenn dort ein neuer
380/220 kV-Trafo gebaut werde.
In Wahrheit
reicht der schon am 3. Dezember 2015 in Betrieb gegangene 380/220 kV
Trafo in Laufenburg. Zudem wird in Beznau im März 2017 noch ein 380/220
kV Trafo ans Netz gehen. Hier gibt also keinen Engpass.
«Ja,
aber in Mühleberg fehle sowohl eine 380 kV Leitung
Bassecourt–Mühleberg, als auch ein 380/220 kV Trafo. Und beides könne
man ganz einfach nicht bis Ende 2017 realisieren», meinte Zumwald. Diese
Aussage wird zum Bumerang für Herrn Zumwald:
- Erstens
schreibt die Swissgrid in ihrer strategischen Netzplanung vom April
2015, dass man Mühleberg 2019 abschalten könne, und dazu keine neue 380
kV Leitung und keinen neuen 380/220 kV Trafo brauche.
- Zweitens
besteht seit 1978 eine 380 kV Leitung Bassecourt–Mühleberg, die einfach
mit 220 kV betrieben wird, weil es die 380 kV gar nicht braucht. Wenn
man die 380 kV bräuchte, könnte man in Bassecourt einfach den Schalter
umlegen.
- Drittens hat die
BKW mit viel Pomp am 23. Mai 2016 ihre neue 380/220 kV Trafostation
Mühleberg eingeweiht, damit man bereit ist, falls im Jahr 2025 dann mal
ein 380 kV Anschluss kommen würde.
Damit läuft Zumwalds Argumentation ins Leere.
Behauptung 6: «Durch
massiv mehr Stromimporte droht zudem eine Überlastung der Schweizer
Netzinfrastruktur. Um dies zu vermeiden, müsste die Netzinfrastruktur
rasch genug ausgebaut werden können. Die notwendige Verstärkung der
Netzinfrastruktur braucht aber Jahre und ist aufwendig und teuer. Die
Initiative gefährdet deshalb unsere Versorgungssicherheit.» (Seite 13)
In
der strategischen Netzplanung der Swissgrid vom 2. April 2015 wird
gezeigt, dass Null Atomstrom im Jahr 2025 zu bewältigen wäre. Swissgrid
zeigt darin auch die dringlichsten Netzausbauten auf, die bis 2025 so
oder so zu realisieren wären.
Behauptung 7: «Mit
einer Begrenzung der Laufzeiten werden die Spielregeln grundlegend
geändert. Die Betreiber könnten Investitionen nicht amortisieren, die
sie im Vertrauen auf das geltende Recht und gestützt auf die
unbefristete Betriebsbewilligung getätigt haben. Es wurden darum bereits
Entschädigungsklagen in Milliardenhöhe angekündigt. Sind diese
erfolgreich, so müssten der Bund und damit letztlich alle
Steuerpflichtigen diese Entschädigungen bezahlen.» (Seite 13)
So
schlimm ist es gar nicht: Die BKW und die Alpiq «prüfen», ob sie
Entschädigungsforderungen stellen möchten, und zwar im tiefen
dreistelligen Millionenbereich. Nur der CEO Axpo Andrew Walo sagt schon
heute, er wolle 4,1 Milliarden Franken. Dann wäre auch noch zu klären,
wer wem Entschädigung zahlen müsste. Die Eigentümer der AKW sind die
Städte und Kantone, also wir Steuerzahler. Folglich müssten wir uns eine
Entschädigung zahlen, sozusagen von der linken Tasche in die rechte
Tasche.
Der Skandal ist, dass in den
Stilllegungs- und Entsorgungsfonds nach konservativer Rechnung von 2011
10 Milliarden Franken fehlen. Wenn man die aktuellen Zahlen zu den
Kosten aus Deutschland als Referenz nimmt, fehlen 40 Milliarden Franken.
Zu
gerne hätten wir aktuelle Zahlen zu den Stilllegungs- und
Entsorgungskosten in der Schweiz. Diese werden mit der Kostenstudie 2016
erst im Dezember veröffentlicht, eine Woche nach der Abstimmung zum
geordneten Atomausstieg.
Im Rechtsgutachten der
SP Schweiz von letztem Jahr haben die Rechtsprofessoren bestätigt, dass
es ohne Schaden keinen Schadenersatz geben kann.
Die
AKW haben einen negativen Wert, Leibstadt hatte bereits 1999 einen Wert
von minus 2,4 Milliarden Franken. Anteile an Schweizer AKW sind auch zu
stark negativen Preisen nicht verkäuflich. Auch der Betrieb der AKW ist
defizitär. Laut der Bilanz beträgt das jährliche Defizit der Schweizer
AKWs 757 mio Franken pro Jahr. Weder die Vollkosten, noch die variablen
Kosten werden gedeckt bei Strommarktpreisen von 3 Rp/kWh. Wert negativ,
Betrieb defizitär, ergo bei Abschalten kein Schaden, kein Schadenersatz.