Weiter wie bisher: Der
aktuelle Wirbel um ein mögliches Atomkraftrevival ist auch als Reaktion
auf jüngste energiepolitische Entwicklungen zu interpretieren. Zunächst
sind die Verhandlungen für ein EU-Rahmenabkommen – ganz im Sinne der
SVP – kläglich gescheitert. Damit wurden gleich auch die Hoffnungen auf
ein zeitnahes und umfassendes Stromabkommen mit der EU begraben. Dann
hat die hauchdünne Ablehnung des CO2-Gesetzes der SVP einen
prestigeträchtigen Sieg auf vermeintlich fremdem Terrain eingebracht.
Die SVP hat also in kurzer Zeit mehrere Ansätze für eine konstruktive
Schweizer Klima- und Energiepolitik torpediert. Nun sind neue Lösungen
gefragt – das weiss man auch bei der SVP. Dort müssen Lösungen offenbar
immer irgendwie mit vertrauten Mustern aus der Vergangenheit zu tun
haben. So wollen die SVP-Exponent:innen abermals auf den Strommix aus
Atom und Wasser setzen.
Mitten in Europa: Dass
die Nutzung von Atomstrom einzigartige Umweltrisiken birgt, ist
unbestritten. Aber auch was die Unabhängigkeit von der EU angeht, ist
das neu aufgelegte AKW-Märchen weltfremd. Allein der Blick auf die
Versorgungssituation zeigt, wie absurd die Idee einer isolierten
Schweizer Stromwirtschaft ist. Gerade mit dem hohen Anteil flexibler
Speicherkraft ist die Schweiz ganzjährig auf internationalen Stromhandel
angewiesen – mit oder ohne Atomkraftwerke. Die Idee einer unabhängigen
Schweizer Stromversorgung ist aber nicht nur volkswirtschaftlicher,
sondern auch technischer Unsinn. Die Schweiz ist über 41
grenzüberschreitende Leitungen so eng in das europäische Verbundnetz
eingeflochten, dass etwa die europäische Energieregulierungsbehörde noch
vor kurzem betont hatte: «Die Teilnahme der Schweiz an der
internationalen Regelenergiekooperation ist für die Netzsicherheit in
Europa unabdingbar».
Stromabkommen versenkt – was nun?: Mit
der Verhinderung eines Stromabkommens wird diese Kooperation massiv
erschwert – zu Ungunsten der Schweiz. Jene, die das Scheitern
entsprechender Verhandlungen mit der EU zu verantworten haben,
verbreiten nun die Geschichte, dass die von ihnen verursachten Probleme
mit einem neuen AKW zu lösen seien. Tatsächlich werden sich die
Konsequenzen der schweizerisch-europäischen Strommarkt-Desintegration
aber schon sehr bald bemerkbar machen. Neue AKW zu fordern, die
frühestens in 20 Jahren Strom produzieren könnten, ist jenseits aller
Realitäten und ganz bestimmt kein ernsthafter Beitrag zur Frage der
Versorgungssicherheit. Wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen,
können erneuerbare Energien – auch mit ausreichender Winterproduktion –
hingegen sehr schnell und günstig ausgebaut werden.
Wenig Substanz mit grosser Wirkung: Das
AKW-Sommermärchen ist energiepolitischer Unfug. Mit ihrem Votum zur
Energiestrategie 2050 hat die Schweizer Bevölkerung ihren Willen für die
Energiewende klar bekundet. Zudem kämen neue AKW für den Klimaschutz
viel zu spät. Weder die Stromwirtschaft noch irgendein Investor spielt
auch nur ansatzweise mit dem Gedanken, neue AKW in der Schweiz zu bauen.
Die Schweiz muss den eingeschlagenen Weg der Energiewende weiter gehen
und konsequent erneuerbare Kapazitäten ausbauen. Die aktuelle
Pseudodebatte um neue AKW vernebelt den Blick darauf, dass das Parlament
diesen Herbst mit der Revision des Energiegesetzes die Leitplanken für
einen rascheren Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion setzen kann.
Die
Mehrheiten für den Erhalt des AKW-Neubauverbots sind nach wie vor
stabil, aber die mediale Kampagne hat den Diskurs verschoben. Das
Märchen einer auf AKW angewiesenen Schweiz, so ist zu befürchten, dürfte
nicht nur die dringend nötige Stärkung der Erneuerbaren im
Energiegesetz stören, sondern auch die Diskussion um den gefährlichen
Langzeitbetrieb der bestehenden Reaktoren beeinflussen. Und hier stehen
die Architekt:innen der jüngsten AKW-Kampagne weit weniger im Abseits,
als sie sollten.
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