Samstag, 14. November 2015

Endlich mehr Realismus bei Energieprogrnosen

Der diese Woche veröffentlichte "World Energy Outlook" der Internationalen Energieagentur (IEA) reiht sich ein in eine lange Tradition: Potenziale von erneuerbaren Energien werden klein geredet, konventionelle Energiequellen überschätzt, kritisiert Hans-Josef Fell, Ex-Bundestagsabgeordneter und Präsident der Energy Watch Group. Mit Blick auf die entscheidende UN-Klimakonferenz müsse die IEA endlich einen realistischen Wegweiser liefern.

Die letzten Entwicklungen rund um den Ölpreis verdeutlichten, dass das Energiesystem an einem Wendepunkt steht. Der tiefe Ölpreis hat die bereits bestehende Schieflage der Ölfirmen noch verstärkt. Ohne die Null-Zinspolitik und massive Subventionen wären die meisten Firmen nicht mehr überlebensfähig. Es ist absolut offen, ob die Transformation des Systems  verträglich oder mit Verwerfungen vor sich gehen wird. Entweder wird ein hoher Ölpreis die Wirtschaft zerreißen, oder ein niedriger die Ölfirmen.

Gerade deshalb wären brauchbare Wegweiser unerlässlich – und was macht die IEA? Sie fabuliert im aktuellen "World Energy Outlook" (WEO) von einem weltweiten Ölverbrauch bis zum Jahr 2040 von 103,5 Mb/Tag. Dies ist in Anbetracht der überschuldeten Ölfirmen und den eigenen Warnungen der IEA vor den stark zurückgefahrenen Investitionen im Erdölsektor völlig unrealistisch. Bereits im Jahr 2014 lagen die Nettoinvestitionen in neue Stromerzeugungskapazitäten erstmals bei den Erneuerbaren höher als bei fossilen Kraftwerken.

Die irreführenden Prognosen beschränken sich aber keinesfalls nur auf den Erdölsektor. Der Elektrizitätsanteil der Kohle soll nur von 41 Prozent auf 30 Prozent abnehmen. Mit anderen Worten: Die bestehenden Kohlekraftwerke laufen weiter und wenige neue kommen dazu. Insbesondere in Anbetracht der aktuellen Kohlekrise und dem Exodus der Kohleinvestoren sind diese Annahmen mehr als fragwürdig. Auch die beginnenden Anstrengungen Chinas die Luftreinhaltung mit einer Verringerung der Kohlekraft zu erreichen, scheint die IEA nicht ernst zu nehmen. Weiter soll der Anteil der Kernkraft an der Stromversorgung bis ins Jahr 2040 konstant bleiben was einen jährlichen Nettozuwachs voraussetzt. Diese Annahmen sind schlichtweg nicht haltbar, wenn bedacht wird, dass die Uranvorkommen nicht ausreichen, Plutoniumreaktoren nicht sicher sind.

Im hohen Masse unverantwortlich sind die Projektionen zu den erneuerbaren Energien. Die IEA geht bei Wind- und Photovoltaikanlagen von jährlich tieferen Wachstumsraten aus, als sie in den letzten Jahren stattgefunden haben. Die IEA spricht sogar von rückläufigen Wachstumszahlen, obwohl bereits heute exponentielles Wachstums erreicht wurde. Der WEO-Bericht zählt weltweit zu den bedeutendsten Energiemarktanalysen und findet international große Beachtung. Der Einfluss auf politische wie ökonomische Entscheidungen, die Regierungen weltweit fällen, ist entsprechend groß. Es erstaunt daher nicht, dass die fehlerhaften Projektionen der Vergangenheit des World Energy Outlook zu hohen Investitionen in konventionelle Energien führen. Dadurch wird die weltweite globale Energiewende behindert und der Kampf gegen den Klimawandel untergraben. Gleichzeitig nehmen Industrieländer hohe Luftverschmutzungen in Städten und Umweltkatastrophen wie zuletzt im Golf von Mexiko und in Fukushima in Kauf, denn der WEO sendet immer noch das Signal, der Ausbau der erneuerbaren Energien könne die Weltversorgung nicht übernehmen.
 
Die Projektionen für die erneuerbaren Energien in Studien wie Bloomberg New Energy Finance (BNEF) oder SolarPower Europe (SPE) sind viel höher als die von der IEA. Die WEO Prognosen für erneuerbare Energien sind so niedrig wie von ExxonMobil oder Shell. Die fossilen Energieproduzenten versuchen seit Jahren die globale Energiewende zu verhindern, ein notorisches Beispiel ist ExxonMobil. Exxon war bereits im Jahr 1978 über den Klimawandel informiert; aber anstatt die Welt darüber zu informieren, wurde die Wissenschaft konsequent ignoriert und die Klimapolitik seither behindert. Die IEA treibt mit ihren Projektionen zur Nuklearenergie auch viele Nationen in Finanzdesaster, weil die Baukosten viel teurer werden und keine nennenswerten Stromproduktionen stattfinden, wie etwa bei den Atomkraftwerken Olkiluoto, Flamanville oder Hinkley Point.
 
Gerade mit Blick auf die kommende UN-Klimakonferenz in Paris sind die Annahmen der IEA befremdlich und zementieren den Status quo. Der Kampf gegen den Klimawandel benötigt eine massive Verlagerung von Investitionen hin zu erneuerbaren Energien. Deshalb sind Entscheidungsgrundlagen notwendig, welche die realen Potentiale und Chancen der erneuerbaren Energien für die Wirtschaft aufzeigen und vor einer Carbon Bubble schützen. Die IEA höchstpersönlich fordert im Rahmen der UN-Klimakonferenz in Paris ein Abkommen nach dem die globalen Treibhausgas-Emissionen im Jahr 2020 ihren Höhepunkt erreichen sollen. Gleichzeitig veröffentlicht die IEA mit dem WEO aber Entscheidungsgrundlagen, welche die Erreichung solcher Ziele behindern.
 
Ja, die IEA warnt zwar zunehmend vor den Auswirkungen des Klimawandels und vor ökonomischen Fehlentwicklungen. Dies zum Beispiel in einem Bericht über die hohen fossilen Subventionen mit etwa 115 US-Dollar pro Tonnen CO2 Emission. Im Kern ist die IEA mit ihren Prognosen über die angeblichen schwachen Wachstumsmöglichkeiten der erneuerbaren Energien aber der hauptsächliche Verhinderer eines wirklich erfolgreichen Klimaschutzes mit Nullemissionen als Ziel. Die IEA Projektionen geraten zunehmend unter Druck, wie etwa durch den letzten Carbon Tracker Report und auch die Medien greifen die irreführenden Prognosen verstärkt auf. In Finnland wurde die Regierung dafür kritisiert, dass sie ihre Energiepolitik nach der IEA ausrichtet. 

Dass die Zukunft anders aussehen kann, zeigen positive Beispiele wie die globale Divestment Kampagne oder Städte und Länder wie beispielsweise Schweden, die 100 Prozent erneuerbar gehen wollen. Der Siegeszug der erneuerbaren Energien ist unaufhaltsam. Für das Weltklima ist es aber absolut zentral, wie schnell die Transformation des Energiesystems voranschreitet und dass der Prozess nicht von einflussreichen Meinungsmachern verschleppt wird. Die IEA macht sich mit ihren Publikationen selbst zu einem zentralen Verursacher der im WEO beklagten Emissionssteigerungen und dem zunehmenden Klimawandel. Die aktuelle Strategie der IEA scheint zu sein, völlig inakzeptable Zahlen als fortschrittlich zu kommunizieren. Die IEA kann nicht mehr als glaubwürdiger Energieanalyst ernst genommen werden.

Die Energy Watch Group ruft die IEA dazu auf, das exponentielle Wachstum der erneuerbaren Energien anzuerkennen und endlich realistische Energieszenarien zu entwickeln. Die Berechnungsmodelle der IEA müssen transparenter werden und unabhängigen Peer-Reviews unterzogen werden. Damit die IEA nicht weiter ein Teil des Problems sondern ein Teil der Lösung sein kann, sind Reformen dringend notwendig. Dazu muss sich die IEA sowohl von ihrer Entstehungsgeschichte, die zurückgeht auf die Ölkrise 1973, als auch von der Einvernahme durch die Interessen der konventionellen Energiewirtschaft lösen. Die IEA tragenden OECD Länder, allen voran die USA, müssen der IEA endlich freie Hand für fehlerfreie Analysen geben.

Quelle:  Hans-Josef Fell - Präsident der Energy Watch Group (EWG) und Autor des EEG 2000

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