Der diese Woche veröffentlichte "World Energy Outlook" der Internationalen
Energieagentur (IEA) reiht sich ein in eine lange Tradition: Potenziale
von erneuerbaren Energien werden klein geredet, konventionelle
Energiequellen überschätzt, kritisiert Hans-Josef Fell,
Ex-Bundestagsabgeordneter und Präsident der Energy Watch Group. Mit
Blick auf die entscheidende UN-Klimakonferenz müsse die IEA endlich
einen realistischen Wegweiser liefern.
Die letzten Entwicklungen rund um den Ölpreis verdeutlichten, dass
das Energiesystem an einem Wendepunkt steht. Der tiefe Ölpreis hat die
bereits bestehende Schieflage der Ölfirmen noch verstärkt. Ohne die
Null-Zinspolitik und massive Subventionen wären die meisten Firmen nicht
mehr überlebensfähig. Es ist absolut offen, ob die Transformation des Systems verträglich oder mit Verwerfungen vor sich gehen
wird. Entweder wird ein hoher Ölpreis die Wirtschaft zerreißen, oder ein
niedriger die Ölfirmen.
Gerade deshalb wären brauchbare Wegweiser unerlässlich – und was
macht die IEA? Sie fabuliert im aktuellen "World Energy Outlook" (WEO)
von einem weltweiten Ölverbrauch bis zum Jahr 2040 von 103,5 Mb/Tag.
Dies ist in Anbetracht der überschuldeten Ölfirmen und den eigenen
Warnungen der IEA vor den stark zurückgefahrenen Investitionen im
Erdölsektor völlig unrealistisch. Bereits im Jahr 2014 lagen die
Nettoinvestitionen in neue Stromerzeugungskapazitäten erstmals bei den
Erneuerbaren höher als bei fossilen Kraftwerken.
Die irreführenden Prognosen beschränken sich aber keinesfalls nur auf
den Erdölsektor. Der Elektrizitätsanteil der Kohle soll nur von 41
Prozent auf 30 Prozent abnehmen. Mit anderen Worten: Die bestehenden
Kohlekraftwerke laufen weiter und wenige neue kommen dazu. Insbesondere
in Anbetracht der aktuellen Kohlekrise und dem Exodus der
Kohleinvestoren sind diese Annahmen mehr als fragwürdig. Auch die
beginnenden Anstrengungen Chinas die Luftreinhaltung mit einer
Verringerung der Kohlekraft zu erreichen, scheint die IEA nicht ernst zu
nehmen. Weiter soll der Anteil der Kernkraft an der Stromversorgung bis ins
Jahr 2040 konstant bleiben was einen jährlichen Nettozuwachs
voraussetzt. Diese Annahmen sind schlichtweg nicht haltbar, wenn bedacht
wird, dass die Uranvorkommen nicht ausreichen,
Plutoniumreaktoren nicht sicher sind.
Im hohen Masse unverantwortlich sind die Projektionen zu den
erneuerbaren Energien. Die IEA geht bei Wind- und Photovoltaikanlagen
von jährlich tieferen Wachstumsraten aus, als sie in den letzten Jahren
stattgefunden haben. Die IEA spricht sogar von rückläufigen
Wachstumszahlen, obwohl bereits heute exponentielles Wachstums erreicht
wurde. Der WEO-Bericht zählt weltweit zu den bedeutendsten
Energiemarktanalysen und findet international große Beachtung. Der
Einfluss auf politische wie ökonomische Entscheidungen, die Regierungen
weltweit fällen, ist entsprechend groß. Es erstaunt daher nicht, dass
die fehlerhaften Projektionen der Vergangenheit des World Energy Outlook
zu hohen Investitionen in konventionelle Energien führen. Dadurch wird
die weltweite globale Energiewende behindert und der Kampf gegen den
Klimawandel untergraben. Gleichzeitig nehmen Industrieländer hohe
Luftverschmutzungen in Städten und Umweltkatastrophen wie zuletzt im
Golf von Mexiko und in Fukushima in Kauf, denn der WEO sendet immer
noch das Signal, der Ausbau der erneuerbaren Energien könne die
Weltversorgung nicht übernehmen.
Die Projektionen für die erneuerbaren Energien in Studien wie
Bloomberg New Energy Finance (BNEF) oder SolarPower Europe (SPE) sind
viel höher als die von der IEA. Die WEO Prognosen für erneuerbare
Energien sind so niedrig wie von ExxonMobil oder Shell. Die fossilen
Energieproduzenten versuchen seit Jahren die globale Energiewende zu
verhindern, ein notorisches Beispiel ist ExxonMobil. Exxon war bereits
im Jahr 1978 über den Klimawandel informiert; aber anstatt die Welt
darüber zu informieren, wurde die Wissenschaft konsequent ignoriert und die Klimapolitik seither behindert. Die IEA treibt mit ihren Projektionen zur Nuklearenergie auch viele
Nationen in Finanzdesaster, weil die Baukosten viel teurer werden und
keine nennenswerten Stromproduktionen stattfinden, wie etwa bei den
Atomkraftwerken Olkiluoto, Flamanville oder Hinkley Point.
Gerade mit Blick auf die kommende UN-Klimakonferenz in Paris sind die
Annahmen der IEA befremdlich und zementieren den Status quo. Der Kampf
gegen den Klimawandel benötigt eine massive Verlagerung von
Investitionen hin zu erneuerbaren Energien. Deshalb sind
Entscheidungsgrundlagen notwendig, welche die realen Potentiale und
Chancen der erneuerbaren Energien für die Wirtschaft aufzeigen und vor
einer Carbon Bubble schützen. Die IEA höchstpersönlich fordert
im Rahmen der UN-Klimakonferenz in Paris ein Abkommen nach dem die
globalen Treibhausgas-Emissionen im Jahr 2020 ihren Höhepunkt erreichen
sollen. Gleichzeitig veröffentlicht die IEA mit dem WEO aber
Entscheidungsgrundlagen, welche die Erreichung solcher Ziele behindern.
Ja, die IEA warnt zwar zunehmend vor den Auswirkungen des
Klimawandels und vor ökonomischen Fehlentwicklungen. Dies zum Beispiel
in einem Bericht über die hohen fossilen Subventionen mit etwa 115 US-Dollar pro Tonnen CO2 Emission.
Im Kern ist die IEA mit ihren Prognosen über die angeblichen schwachen
Wachstumsmöglichkeiten der erneuerbaren Energien aber der hauptsächliche
Verhinderer eines wirklich erfolgreichen Klimaschutzes mit
Nullemissionen als Ziel. Die IEA Projektionen geraten zunehmend unter Druck, wie etwa durch den letzten Carbon Tracker Report und auch die Medien greifen die irreführenden Prognosen verstärkt auf. In Finnland wurde die Regierung dafür kritisiert, dass sie ihre Energiepolitik nach der IEA ausrichtet.
Dass die Zukunft anders aussehen kann, zeigen positive Beispiele wie die globale Divestment Kampagne oder Städte und Länder wie beispielsweise Schweden,
die 100 Prozent erneuerbar gehen wollen. Der Siegeszug der erneuerbaren
Energien ist unaufhaltsam. Für das Weltklima ist es aber absolut
zentral, wie schnell die Transformation des Energiesystems voranschreitet und dass der Prozess nicht von einflussreichen Meinungsmachern verschleppt wird. Die IEA macht sich mit ihren Publikationen selbst zu einem zentralen
Verursacher der im WEO beklagten Emissionssteigerungen und dem
zunehmenden Klimawandel. Die aktuelle Strategie der IEA scheint zu sein,
völlig inakzeptable Zahlen als fortschrittlich zu kommunizieren. Die
IEA kann nicht mehr als glaubwürdiger Energieanalyst ernst genommen
werden.
Die Energy Watch Group ruft die IEA dazu
auf, das exponentielle Wachstum der erneuerbaren Energien anzuerkennen
und endlich realistische Energieszenarien zu entwickeln. Die
Berechnungsmodelle der IEA müssen transparenter werden und unabhängigen
Peer-Reviews unterzogen werden. Damit die IEA nicht weiter ein Teil des Problems sondern ein Teil der
Lösung sein kann, sind Reformen dringend notwendig. Dazu muss sich die
IEA sowohl von ihrer Entstehungsgeschichte, die zurückgeht auf die
Ölkrise 1973, als auch von der Einvernahme durch die Interessen der
konventionellen Energiewirtschaft lösen. Die IEA tragenden OECD Länder,
allen voran die USA, müssen der IEA endlich freie Hand für fehlerfreie
Analysen geben.
Quelle: Hans-Josef Fell - Präsident der Energy Watch Group (EWG) und Autor des EEG 2000
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