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Szenarien bilden aus heutiger Sicht mögliche und konsistente Entwicklungen ab. Sie sind keine Prophezeiungen (also so genannte «unbedingte Aussagen»), denn die sind schon seit ein paar tausend Jahren aus der Mode. Es ist also wahrscheinlich, dass die Welt im Jahr 2050 klimaneutral ist, aber in vielen Details anders aussieht als die Szenarienuntersuchungen ergeben. Die Szenarien zeigen wie gesagt, konsistente Möglichkeiten, wie sich das Energiesystem unter plausiblen und heute als wahrscheinlich angenommenen Voraussetzungen entwickeln könnte. In unterschiedlichen Szenarien werden verschiedene denkbare Strategien analysiert, mit so genannten «Sensitivitätsrechnungen» wird untersucht, wie robust das System unter verschiedenen definierten Veränderungen der Rahmenbedingungen ist. Dadurch werden die Ergebnisse sehr belastbar.
Was sind Kernannahmen und -ergebnisse?: Die Kernannahmen sind konservativ: Die Schweiz entwickelt sich insgesamt sehr ähnlich wie bisher, die Bevölkerung wächst auf gut 10 Millionen Einwohner bis zum Jahr 2050 die Wirtschaft wächst weiterhin moderat und stabil, die Branchenstruktur verändert sich langsam entsprechend dem Trend der letzten Jahre. Entsprechend wächst auch der Wohlstand, gemessen in BIP/Kopf, der sich auch z.B. durch weiterhin moderat steigende Wohnflächen pro Kopf und einen weiterhin hohen Mobilitätsbedarf abbildet.
Auch die Technologieannahmen sind konservativ: Es wird von heute bekannten und erprobten Technologien ausgegangen, die sich im Rahmen der bisher beobachteten Trends weiterentwickeln. Disruptive Entwicklungen bisher unbekannter Technologien oder das Auftreten unerwarteter «Game-Changer» werden nicht unterstellt. Ausserdem wird davon ausgegangen, dass die Schweiz weiterhin stark in die europäischen Märkte und die Weltmärkte eingebunden bleibt. Dies gilt auch für die Energie(träger-)märkte: So wie heutzutage fossile Energieträger (Rohölprodukte und Erdgas) importiert werden, so werden auch künftig – wenn auch in sehr viel geringerem Masse – neue strombasierte treibhausgasneutrale Energieträger importiert werden, die in anderen Weltregionen kostengünstiger als in der Schweiz produziert werden können. Auch gewisse Mengen an Bioenergieträgern werden importiert, wenn auch deutlich weniger als in der Schweiz produziert werden.
Ebenso am Strommarkt: Die bisherige Funktion als «Stromdrehscheibe in Europa» bleibt erhalten, wenn auch in veränderter Form und verändertem Umfang. Aufgrund der bisherigen Entwicklungen bei der Umsetzung von Windenergie- und Geothermieanlagen wurden von diesen beiden Erzeugungstechnologien nur sehr geringe Beiträge unterstellt, die Hauptlast der neuen Erzeugung trägt die Photovoltaik. Nicht vermeidbare fossile Restemissionen müssen abgeschieden (CCS) oder mit so genannten «Negativ-Emissions-Technologien» (NET) kompensiert werden.
Die Kernergebnisse zeigen, dass eine solchermassen aufgestellte «Konservative Schweiz» mit vergleichsweise konservativer Technologieentwicklung bis 2050 klimaneutral werden kann, und das mit tragbaren Kosten. Dennoch bedeutet die Entwicklung zur Klimaneutralität eine umfassende Transformation, bei der insbesondere die Infrastruktur starke Veränderungen erfährt. Vor allem die Fern- und Nahwärmenetze müssen schnell ausgebaut werden, damit hier keine Hemmnisse für den rechtzeitigen Umstieg auf klimaneutrale Wärmeversorgung entstehen.
Die Energieeffizienz spielt eine sehr grosse Rolle bei der Transformation – praktisch alle Potenziale werden aktiviert und zu einem grossen Teil ausgeschöpft. Dies gilt insbesondere für die energetische Qualität von Gebäudehüllen, aber auch von Lüftungs- und Kühlungsanlagen sowie Produktionsprozessen, sowohl bei der Prozesswärme als auch bei mechanischen Anwendungen. Die Raumwärmeversorgung wird vor allem mit Wärmepumpen sowie – in den dichter besiedelten Gebieten – mit Fern- und Nahwärmebereit gestellt. Die Fernwärme bietet die Möglichkeit, Abwärmepotenziale sowie Niedertemperaturquellen wie Seen energetisch zu nutzen.
Der Personenverkehr wird praktisch vollständig elektrifiziert, der Schwerverkehr wird mit Elektrizität, Wasserstoff und strombasierten Energieträgern betrieben.
Die Schweiz hat mit ihrem grossen «Park» an Speicherwasserkraftwerken ein grosses Plus an Flexibilität, das beim Umbau auf eine Stromversorgung mit erneuerbaren Energien eine grosse Stärke darstellt. Da die künftige Stromversorgung neben der Wasserkraft vor allem auf Photovoltaik beruht, ist eine gute Einbindung in den europäischen Markt, und insbesondere eine gute Verbindung mit den Märkten der Nachbarländer, sinnvoll, um einen Ausgleich zwischen der Schweizer Photovoltaik und den deutschen, französischen und italienischen Windenergieproduktionsmengen zu ermöglichen. Auch die dann mögliche Nutzung von Backup-Kapazitäten zu unterschiedlichen Zeiten – da die Erzeugungsprofile der erneuerbaren Energieträger in den unterschiedlichen Ländern zeitlich verschoben sind – macht das Stromsystem insgesamt effizient und robust. Allerdings würde mehr Stromproduktion aus Windenergie und Geothermie das Schweizer System entlasten und noch stabiler machen. Auch die «neuen Stromnachfrager» wie Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen sowie Batterien z.B. bei PV-Heimspeicheranlagen bieten interessante Flexibilitätspotenziale mit wichtigen, einander ergänzenden Eigenschaften, die den stabilen Betrieb des neuen Elektrizitätssystems unterstützen.
Wasserstoff wird vor allem im Schwerverkehr eingesetzt. Ein Teil des benötigten Wasserstoffs kann mittels Elektrolyse in der Schweiz erzeugt werden, und trägt zur Flexibilität im Stromsystem bei. Langfristig wird der grössere Anteil des Verbrauchs importiert aus Regionen, in denen die Produktionsbedingungen deutlich kostengünstiger sind. Auch die für den Flugverkehr erforderlichen Mengen an strombasierten Treibstoffen werden importiert.
Die begrenzten Biomassepotenziale werden vor allem für die Prozesswärmeerzeugung in der Industrie eingesetzt, zur Spitzenlastabdeckung in Wärmenetzen sowie teilweise auch im Schwerverkehr. Die Biomasse spielt eine wichtige Rolle bei der Erzeugung von «negativen Emissionen» (BECCS). Diese sind erforderlich, um die Restemissionen aus der Landwirtschaft, der Abfallwirtschaft und industriellen Prozessen zu kompensieren. Hier wird langfristig ein Anschluss an die europäische Infrastruktur erforderlich.
Was wurde nicht unterstellt und untersucht? Wie oben dargestellt, wurde der Weg einer konservativen Schweiz mit konservativen Technologien zur Klimaneutralität untersucht, gelöst und dargestellt. Nicht unterstellt wurde eine radikale und gegebenenfalls disruptive Veränderung der Wirtschaftsstruktur, wie sie beispielsweise mit einer Suffizienzstrategie entstehen würde. Der Grund dafür ist zweifach methodisch: Es gibt bislang keine konsistent ökonomisch-sozial durchgerechnete «Suffizienzwelt» mit deutlich reduziertem Konsum, in der Folge reduzierter Produktion und erwartbaren, aber bislang nicht quantifizierten Auswirkungen auf Wertschöpfung, Löhne, Steuern und daraus folgend reduzierter Infrastruktur, reduzierten Bildungs- und Gesundheitsbudgets, was als ökonomische Ausgangswelt untersucht werden könnte. Zum anderen zeigt sich durch die vorliegenden Ergebnisse der Szenarien, dass auch eine konservative Schweiz mit konservativen Methoden klimaneutral werden kann. Eine Reduktion der Raumtemperaturen im Winter würde zwar kurzfristig Emissionen im kleinen einstelligen Prozentbereich reduzieren – die Gebäude müssen aber dennoch energetisch auf einen hohen Stand gebracht und die Wärmeversorgung de-fossilisiert werden. Suffizienzstrategien müssten bei Szenarienrechnungen systematisch nur dann eingeführt werden, wenn das Ziel mit bekannten (konservativen oder innovativeren) Technologien nicht erreichbar wäre. Selbst dann wäre die Zielerreichung aber fraglich, denn die kritischen Emittenten (wie Zementindustrie, Abfall) würden weiterhin eine Herausforderung bleiben.
Ebenfalls nicht untersucht wurde eine verstärkte Kreislaufwirtschaft, oder im umfassenden Sinne «Circular Economy». Die aktuellen Recyclingraten, die in der derzeitigen Wirtschaftsstruktur versteckt sind, wurden implizit mitberücksichtigt. Mehr ist leider derzeit ebenfalls wieder aus methodischen Gründen nicht möglich: Es gibt noch keine plausibel und konsistent quantifizierbare Grundlage für eine solche Wirtschaft, auch wenn das Konzept bestechend ist. Es ist zu erwarten, dass in einer Welt auf dem Weg zu Klimaneutralität und Nachhaltigkeit auch mehr Rohstoffeffizienz umgesetzt wird, was auch einerseits zu neuen Marktakteuren, andererseits zu einer insgesamt effizienteren und produktiveren Wirtschaft führen sollte. Insofern sind die Ergebnisse der aktuellen Energieperspektiven als «Obergrenze der Herausforderungen» anzusehen. Die Untersuchungen sind auf die technisch-ökonomische Seite des Energiesystems in dem entsprechenden Bilanzrahmen der internationalen Bilanzierungskonventionen begrenzt.
Nicht untersucht wurden mögliche erforderliche politische Strategien oder Instrumentenbündel, um die abgebildete technische Transformation zu erreichen. Grundlagen hierzu werden in anderen Forschungsprojekten erarbeitet. Die konkrete Aushandlung von Anreiz- und Verteilungsinstrumenten ist und bleibt das «Kerngeschäft» des politischen Diskursprozesses. In den Energieperspektiven wurden die erforderlichen Investitionen in den einzelnen Sektoren und Verwendungszwecken ermittelt. Nicht ermittelt wurde der Bedarf an Fachkräften, um die Umsetzung der Transformation aufzugleisen.
Was sollte in der Folge angegangen werden? Sinnvoll wäre es, die Themen «Energietransformation» und «Circular Economy» stärker miteinander zu verknüpfen. Durch mehr Stoffkreisläufe (und Ressourceneffizienz) entsteht auch ein energieeffizienteres Produzieren, da insbesondere weniger energieintensive Grundstoffe produziert werden müssen. Diese werden allerdings praktisch nicht mehr in der Schweiz erzeugt. Hier ist noch Einiges an wissenschaftlicher Grundlagenarbeit zu leisten, da eine konsequente «Circular Economy» die Verflechtungen und Bezüge zwischen allen Wirtschaftszweigen und Akteuren, Wertschöpfung, Beschäftigung und Geschäftsmodellen verändern wird.
Für die Umsetzung unmittelbar wichtig ist die Frage der benötigten und vorhandenen Fachkräfte und perspektivisch der Strategien, um sie auszubilden und zu sichern. Hier wären ebenfalls tiefgehende Untersuchungen nach Tätigkeitsprofilen und Ausbildungserfordernissen erforderlich.
Als Grundlage für die Instrumentendiskussion laufen derzeit einige Forschungsprojekte.
Dr. Almut Kirchner, Direktor und Partner bei Prognos, strategische Leitung Energieperspektiven
Quelle: Energeiaplus - das Energiemagazzin des Bundesamts für Energie BfE
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