Wer vom eingeschlagenen Weg zur Energiewende und in der Schweiz, konkret von der Energiestrategie 2050, einigermassen überzeugt ist, dem kann der Republik-Artikel «Die Sage vom sauberen Strom - 1.12.21» nicht gefallen. Nicht einmal wegen der vielen erwähnten kritischen Punkte, zu deren (teilweisen) Widerlegung im folgenden angesetzt wird. Sondern wegen einer Grundstimmung im Text, die diese Energiestrategie von vorne herein in die Ecke des Scheiterns stellt, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt > hier geht es zum umstritten Republik-Text - und nachstehend die Replik vom Solarmedia-Autor.
Zuerst der Hinweis auf drei Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, die im Republik-Artikel noch gar nicht Berücksichtigung finden (konnten): Deutschland erhält eine neue Regierung, die neben Enttäuschungen in verschiedener Hinsicht vor allem bezüglich der Energiewende Schub verspricht. Was nicht ohne Auswirkungen auf die Schweiz bleiben wird (nur schon wegen der Beschaffenheit des aus Deutschland importierten Stroms, dem fälschlicherweise immer wieder das auch heute schon nur beschränkt gültige Totschlagetikett «dreckiger Kohlestrom» verpasst wird). Die Abstimmung über die kantonalzürcher Energiepolitik zeigte Ende November sodann, dass «die Schweiz noch nicht verloren ist in klimapolitischer Hinsicht». Und gerade in dieser Woche hat eine Schweizer Delegation, angeführt von Bundesrätin Simonetta Sommaruga, am Ministertreffen des Pentalateralen Energieforums (Penta-Forum) ein Memorandum of Understanding (MoU) zur Zusammenarbeit in der Stromkrisenvorsorge mit Nachbarstaaten unterzeichnet (siehe > hier). Diese Übereinkunft heisst zumindest: Das Problem ist auch in Bundesbern erkannt.
Doch was lässt sich nun zu den im Republik-Artikel erwähnten – zum Teil vermeintlichen – Fakten sagen resp. schreiben? Hier eine Abhandlung Punkt für Punkt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aber im Verständnis, dass dabei jeweils doch über die Stränge geschlagen wird:
· «Alles passte so gut zusammen, gäbe es nur diesen Spielverderber Stromlücke nicht». Aber stimmt das so? Nein, das stimmt ganz und gar nicht. Denn was die verschiedenen Elemente nicht zum passen bringt, ist eine Politik, die diese Stromlücke – wie der Artikel ja selbst belegt – immer wieder aufleben lässt. Ohne dazwischen zu grätschen und dieser Stromlücke den Kampf anzusagen. Nicht anders etwa ist die jüngere Vergangenheit zu interpretieren (seit der Abstimmung 2017), in der die Notwendigkeit eines schnellen Ausbaus der Erneuerbaren nun wirklich bereits bekannt was – und doch fast nichts geschah. Der Zubau an Photovoltaik ging vielmehr in der zweiten Hälfte der 10er Jahre zurück und nahm erst 2020 wieder zu. Im vergangenen Jahr wurde diesbezüglich erstmals seit vielen Jahren wieder ein Rekordergebnis erzielt – eine fürwahr sonderbare Tatsache angesichts der anerkannten Notwendigkeit des Ausbaus der Erneuerbren Energien (und nebenbei: dieser Rekord wird 2021 nochmals deutlich übertroffen).
· Dass es nur eine Saga sei, dass in der Schweiz künftig viel an Erneuerbarem Strom produziert werde, gehört in die gleiche Strickart der Argumentation. Schon früher wurde den Erneuerbaren die Existenzmöglichkeit abgesprochen – als etwa der damalige Axpo-VR Heinz Karrer in den Nullerjahren dreist behauptete, Erneuerbare könnten in der Schweiz auf alle Zeiten hinaus nie mehr als zwei bis vier Prozent der Stromproduktion erbringen.
· Richtig ist, dass die Stromlücke nun in diesem Jahr wieder explizit beschworen wurde. Aber ein Schelm, wer dahinter böse Absicht vermutet – etwa die gekränkte Familiensage der Blocher’s, deren Übervater dem Kaiseraugst-Debakel einst Pate stand. Und der mit dem damaligen Verzicht vielleicht eine seiner (wenigen) grossen politischen Niederlagen eingestehen musste. Dieses AKW war damals nicht realisierbar. Aber vielleicht könnte man die Scharte ja jetzt ausmerzen. Also setzte die Tochter den Floh von dessen Unausweichlichkeit in die Welt. Interessant in diesem Zusammenhang auch, dass ja nicht nur in der Schweiz die Unmöglichkeit neuer AKW beschworen wird, sondern dies auch in Deutschland, Spanien, Belgien, Portugal, Italien – und all den rund 160 Ländern weltweit, die nie auch nur eine Anlage hatten und auch nicht gedenken, je eine solche zu erstellen.
· Die Wirklichkeit kann also gemäss Republik nicht mithalten mit der ambitionierten Rhetorik rund um die Erzeugung von sauberem Strom. Wie sollte sie auch unter den bereits geschilderten Umständen – und vor allem soll sie das ja in der Zukunft, deren Gestalten mit Verlaub noch nicht definitiv bestimmt ist. Wir haben es vielmehr noch in der Hand, ausser wir lassen uns durch dieses Gespenst Stromlücke noch mehr verunsichern als schon geschehen.
· Der Republik-Artikel vergisst zu begründen, unter welchen Umständen das Gespenst jeweils auch wieder verschwand – und dafür gab es viele Gründe und wird es auch wieder viele geben: Zum Beispiel jenen, dass die europaweit beschworene Stromlücke eben vielleicht doch nicht eintreten wird – denn die gesamten Erzeugerkapazitäten könnten bald einmal unsere Vorstellungskraft weit übertreffen: Der Ausbau der Windenergie in Schottland und Dänemark ist derart rasant, dass plötzlich zu viel Strom europaweit die Netze überfluten könnten. Und selbst wenn die EU ihren Mitgliedländern vorschreiben wird, 70% der Kapazitäten für EU-weiten Bedarf vorzuhalten, so bleiben immer noch deren 30%, die für eine Versorgung unter anderem der Schweiz in Frage kämen. Man mag es auch kaum mehr hören, aber die Schweiz ist für den Strombedarf des EU-Landes Italien derart wichtig, dass ihr wohl kaum der Saft abgestellt wird – denn das träfe dann insbesondere Italien.
· Das Nein zum CO2-Gesetz ist zwar bedauerlich für die Energiestrategie – einen Zusammenhang mit der nun plötzlich auftretenden Stromlücke herbeizuschreiben, ist dennoch eine artistische Volte. Da fällt das europapolitische Argument zweifellos stärker ins Gewicht. Das heisst aber auch nur, dass sich der Bundesrat und die Schweiz als Ganzes im Verhältnis zu Europa um einen gangbaren Weg bemühen muss (was mit der jüngsten Übereinkunft zumindest ansatzweise geschieht - siehe oben), der zweifellos auch ein möglicher ist – wenn man das denn überhaupt will. Wer den stark steigenden Strompreis mit dem Auftauchen des Gespenstes Stromlücke verbindet, verkennt ökonomische Gegebenheiten. Dieser wird, wenn er denn auf hohem Niveau verbleibt, vielmehr einem anderen Phäomen zum Durchbruch verhelfen – nämlich einem rasanten Anstieg der erneuerbaren Kapazitäten. Ganz automatisch wird das auch hierzulande nicht einfach gegen die Stromlücke helfen – aber die neuen Preisrelationen bieten zumindest eine nicht unerhebliche Chance, diese auch wieder schnell vergessen zu machen. Ja man kann sogar getrost darauf hoffen und vertrauen! In diesem Sinn liesse sich der Republik-Artikel in weiteren Punkten demontieren – dem grossen Aufwand ist es geschuldet, dass dies zumindest hier nun nicht weiter geschieht.
Fazit: Die Masche der eingefleischten Wende-Kritiker*innen war und ist klar – man lege einem
politischen Anliegen (hier der Energiewende) alle erdenklichen Steine in den
Weg, torpediere diese über Jahrzehnte – und schreibe dann das
endgültige Scheitern herbei, nachdem man es bis zum geht nicht mehr beschworen
hat. Gelegentlich gelingt ein solches Taktieren – doch im Fall der fossilen und
nuklearen Energie scheint (siehe Entwicklungen im Weltmassstab) das Gegenteil der Fall, auch wenn das derzeit nicht
allen einleuchten mag. Ich persönlich bin als Autor von Solarmedia überzeugt, dass sogar
hierzulande der Tag nicht mehr so weit entfernt ist, an dem die
Erneuerbaren Energien ihren Siegeszug gegen alle Widerstände endgültig
vollziehen. Es ist nur eine Frage der Zeit – diesbezüglich bin ich
für die Schweiz allerdings doch eher pessimistisch.
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