Klimaschutz-Index 2024 von Germanwatch und NewClimate Institute
veröffentlicht: Ziele und Ausbau bei Erneuerbaren boomen, aber
Klimapolitik in vielen Staaten verschlechtert – kein einziges Land kommt
in dieser Kategorie noch auf „gut“.
Dänemark, Estland und Philippinen führen das Ranking an – Ölstaaten
inklusive COP-Gastgeber / Vereinigte Arabische Emirate am Ende der
Rangliste / Deutschland insgesamt leicht verbessert – Streit in der
Ampel verhindert bessere Platzierung / Brasilien gehört zu den besten
Aufsteigern – Italien und Großbritannien stürzen ab.
Ein zwiespältiges Bild zeichnet der bei der Weltklimakonferenz
in Dubai veröffentlichte Klimaschutz-Index 2024: Einerseits bietet der
globale Boom der Erneuerbaren Energien, Batterien, Wärmepumpen und
Elektromobilität Grund zur Hoffnung. Noch nie wurden weltweit so viele
Kapazitäten installiert wie 2022. Fast alle großen Volkswirtschaften
setzen auf Wind, Sonne und Wasserkraft. Andererseits müsste der Anstieg
exponentiell weitergehen, um die nach wie vor dominanten fossilen
Energieträger zurückzudrängen. Zudem ist die Klimapolitik der meisten
Staaten nicht ambitioniert genug, um dem Erreichen der Pariser
Klimaziele entscheidend näher zu kommen.
„Die Regierungen setzten weniger klimapolitische Maßnahmen um und
müssen viele Krisen gleichzeitig lösen. Erstmals ist in der
Teilbewertung Klimapolitik kein einziges Land „gut“. Selbst Staaten mit
eher besserer Klimapolitik wie Dänemark scheinen heute weiter vom
Erreichen der Pariser Klimaziele entfernt zu sein als in den vergangenen
Jahren“, sagt Niklas Höhne (NewClimate Institute), Co-Autor des
Klimaschutz-Index. „Doch wir kommen jetzt in eine ganz entscheidende
Phase: Emissionen bis 2030 müssen weltweit nahezu halbiert werden, um
eine Eskalation der Klimakrise zu vermeiden. Wir müssen jetzt in den
Notfallmodus schalten und den entscheidenden Beitrag dazu müssen die 63
Staaten und die EU leisten, die wir in diesem Index betrachten.“
„Die COP28 kann eine wichtige Rolle für den notwendigen Schub beim
weltweiten Klimaschutz spielen. Wir brauchen bindende Beschlüsse, die
Kapazität der Erneuerbaren Energien bis 2030 global zu verdreifachen,
die Energieeffizienz zu verdoppeln und zeitgleich die
Treibhausgas-Emissionen um die Hälfte zu reduzieren, wobei die
Verringerung der fossilen Energien den Hauptteil leisten muss. Diese
Beschlüsse müssen dann aber auch von den Staaten umgesetzt werden“,
ergänzt Jan Burck von Germanwatch, Co-Autor und Entwickler des
Klimaschutz-Index.
Deutschland hat sich mit Rang 14 im Vergleich zum
vergangenen Jahr um zwei Plätze verbessert. Eine deutliche Verbesserung
gelang nur beim 2030-Ziel für Erneuerbare Energien – dennoch reicht es
in der Gesamtkategorie „Erneuerbare Energien“ nur für einen
mittelmäßigen Platz 29. Deutschland schneidet unterm Strich in allen
Kategorien mit der Bewertung „mittelmäßig“ ab und ist unter den
EU-Staaten damit Sechster. Selbst bei der Bewertung der Klimapolitik,
bei der Deutschland immerhin im oberen Viertel landet (15.), reicht es
nur bei der internationalen Klimapolitik für ein „gut“. „Mittelmäßig“
urteilen die Expert:innen bei der nationalen Politik. Jan Burck: „Die
Gründe für die eher mäßige Bewertung der nationalen Klimapolitik
Deutschlands liegen vor allem in einer klimapolitisch zu schwachen
Verkehrspolitik, der Abschwächung des Klimaschutzgesetzes sowie einem am
Ende verwässerten Gebäudeenergiegesetz. Dies sind alles Ergebnisse der
oft gegensätzlichen klimapolitischen Ambitionen innerhalb der
Ampelkoalition. Positiv schlagen hingegen die neuen politischen
Maßnahmen der Bundesregierung zur Beschleunigung des
Erneuerbaren-Ausbaus zu Buche.“
Niederlande lösen Dänemark als Spitzenreiter in der Kategorie Klimapolitik ab: Ein Blick auf die Spitzenregion des Rankings: Aufsteiger wie Estland (5.), die Philippinen (6.) oder die Niederlande (8.) haben es geschafft, nah an den Dauer-Spitzenreiter Dänemark
(4.) heran zu rücken. Die ersten drei Plätze bleiben erneut leer, weil
immer noch keiner der untersuchten Staaten auf einem 1,5 Grad-Pfad
liegt. Bei den Philippinen waren für den Aufstieg vor allem sehr gute
Platzierungen bei Emissionen und Energieverbrauch ausschlaggebend
(jeweils an der Spitze), bei Estland und den Niederlanden insbesondere
das gute Abschneiden bei Erneuerbaren Energien und Klimapolitik. In
letztgenannter Kategorie lösten die Niederlande sogar Dänemark als neuer
Spitzenreiter ab – dennoch reichte es auch für sie in der Wertung der
Klimapolitik nur für „mittelmäßig“.
Zu den größten Aufsteigern des Jahres zählt Brasilien
(von Rang 38 auf 23). Der Schwenk des neuen Präsidenten Lula zu
ambitionierter Klimapolitik und insbesondere zur Eindämmung der
Regenwald-Abholzung hat Brasilien bei der Klimapolitik aus dem Keller in
die oberste Gruppe geführt – der größte Beitrag zum Aufstieg in der
Gesamtwertung. Allerdings geben Expert:innen aus dem Land zu bedenken,
dass Brasilien trotz der Fortschritte weiterhin die Produktion von
Kohle, Öl und Gas ausbaut und seine Klimaziele verfehlen könnte.
Absteiger: Ehemaliger Vorreiter Großbritannien nur noch Mittelmaß nach Klima-Kehrtwende: Bei den größten Absteigern fällt neben Italien (44., minus 15) vor allem Großbritannien
auf. Großbritannien gehörte bis zum vorletzten Index über Jahre immer
zu den Bestplatzierten im Klimaschutz-Index, stürzt nun von Platz 11 auf
20 ab. „Das ist vor allem Folge der Klima-Wende des neuen Premiers
Sunak“, kommentiert Thea Uhlich von Germanwatch. „Nachdem Sunak mehrere
zentrale Teile der zuvor ambitionierteren Klimapolitik abgeschwächt hat,
ist das Land bei der Bewertung der nationalen Klimapolitik um 28 Plätze
ins untere Viertel abgestürzt. Zudem will Sunak die Kohle- und
Ölförderung sogar ausbauen. Auch bei den Erneuerbaren Energien rangiert
Großbritannien nur noch im Bereich „schwach“. Setzt sich diese
Entwicklung so fort, ist mit einem weiteren Abstieg Großbritanniens zu
rechnen.“
EU uneinheitlich – G20 überwiegend schwach bis sehr schwach: Sieben EU-Staaten liegen beim Index im Bereich „gut“, sieben weitere im mittelmäßigen Bereich. Dänemark (4.), Estland (5.) und die Niederlande (8., in drei von vier Kategorien verbessert) können eine Vorreiter-Rolle für sich reklamieren. Auch die EU als Ganzes hat
sich etwas verbessert und rangiert knapp in „gut“. Hier macht sich vor
allem das „Fit for 55“-Paket positiv bemerkbar, auch wenn die
Klimapolitik-Expert:innen des Index bemängeln, dass das Klimaziel für
2030 zu niedrig gesetzt sei. Zudem habe die EU deutliche Defizite bei
der Verringerung des Energieverbrauchs. EU-Schlusslicht ist erneut Polen (55.),
als einziges EU-Land in der Gesamtwertung in der Gruppe „sehr schwach“.
Hier sehen die Expert:innen allerdings unter einer voraussichtlich
neuen Regierung Chancen auf Besserung. Nur wenige Plätze über Polen
liegen Tschechien (52.), Ungarn (49.) und – stark abgerutscht – Bulgarien (46.), Italien (44., in Kategorie Klimapolitik um 30 Plätze abgestürzt) sowie Irland (43.).
Bei den G20-Staaten – verantwortlich für rund 80 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen – liegen nur Indien (7.), Deutschland und die EU
im oberen Bereich. Sieben G20-Staaten rangieren hingegen unter „sehr
schwach“, weitere acht unter „schwach“. In diesen Bereichen liegen auch
die beiden größten Emittenten China (51., unverändert) und USA (57., leicht verschlechtert).
USA und China schwach – aber ermutigende Trends: Die USA, schneiden weiterhin bei Emissionen, Energieverbrauch und
Erneuerbaren schlecht ab. Die Klimapolitik-Expert:innen loben aber die
klimapolitische Wirkung von Bidens „Inflation Reduction Act“, der zu
deutlich größeren Investitionen in Erneuerbare Energien und
Energieeffizienz geführt habe.
China schneidet weiterhin vor allem bei Emissionen (62.) und
Energieverbrauch (61.) sehr schwach ab. Spannend ist jedoch der Trend
bei den Erneuerbaren Energien – hier gehört China zur Spitzengruppe
(9.). Das Land übertrifft seine selbst gesetzten Ziele bei Wind und
Solar sowie beim Verkauf von E-Autos auf dem heimischen Markt. Dennoch
ist der Kohleverbrauch noch immer hoch. Der Trend bei den Erneuerbaren
zusammen mit ebenfalls langsam sichtbaren Verbesserungen bei der
Energieeffizienz vermitteln jedoch die Hoffnung, dass China im kommenden
Jahr den Höhepunkt bei der Kohlenutzung erreichen und danach ein
Zurückfahren einsetzen könnte.
Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Gastgeber
der diesjährigen Klimakonferenz, belegt den drittletzten Platz (65).
Verantwortlich dafür sind die hohen Pro-Kopf-Emissionen (rund 26 Tonnen)
und ein Anteil von weniger als einem Prozent erneuerbarer Energien am
Gesamtenergieverbrauch. Auf dem vorletzten und letzten Platz des
Rankings befinden sich mit Iran (Platz 66) und Saudi-Arabien (Platz 67) zwei weitere Ölstaaten.
Hintergrund zum Klimaschutz-Index: Der von
Germanwatch und NewClimate Institute veröffentlichte Klimaschutz-Index
(Climate Change Performance Index, CCPI) ist eine Rangliste von 63
Ländern plus EU gesamt, die zusammen für mehr als 90 Prozent der
weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Neu dabei sind Nigeria, Pakistan, Usbekistan und COP-Gastgeber Vereinigte Arabische Emirate.
Die vier bewerteten Kategorien sind: Treibhausgasemissionen (40%),
Erneuerbare Energien (20%), Energieverbrauch (20%) und Klimapolitik
(20%). Letztere basiert auf Expert:inneneinschätzungen von
Organisationen und Think Tanks aus den jeweiligen Ländern. In diesem
Jahr haben den Index ca. 450 Expert:innen unterstützt. Innerhalb der
Kategorien Emissionen, Erneuerbare Energien und Energieverbrauch
bewertet der Index auch, inwieweit die Länder angemessene Maßnahmen
ergreifen, um auf einen Pfad zu gelangen, der mit dem Pariser
Klimaabkommen vereinbar ist. Damit ist der Klimaschutz-Index ein
wichtiges wissenschaftliches Instrument, das die Transparenz in der
internationalen Klimapolitik erhöht und einen Vergleich der
Klimaschutzbemühungen der einzelnen Länder ermöglicht. Er wird seit 2005
jährlich veröffentlicht.
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