Die geplante Abschöpfung von Übergewinnen bei deutschen Stromerzeugern
bewirkt kurzfristig erhebliche Einnahmenverluste für
Erneuerbare-Energien-Betreiber. Allerdings sorgen die zeitliche
Befristung und moderate Obergrenzen dafür, dass die Auswirkungen auf die
langfristige Wirtschaftlichkeit überschaubar sind und die Anlagen
weiterhin profitabel bleiben.
Kritischer als der unmittelbare Einfluss
auf die Renditen sind der Vertrauensverlust und die Unsicherheit, die
der Eingriff in den Strommarkt verursacht. Daher sollte die Politik auf
EU- und nationaler Ebene möglichst schnell Klarheit über das zukünftige
Strommarktdesign schaffen. Zu diesem Ergebnis kommendie
Energiemarktexperten von Aurora Energy Research in einer Analyse der
Pläne der Bundesregierung.
Ein in der vergangenen Woche
öffentlich gewordenes Konzept des Wirtschafts- und Klimaministeriums
sieht vor, Zufallsgewinne von Stromerzeugern abzuschöpfen und damit
Entlastungen für Endverbraucher und Unternehmen zu finanzieren, die
unter den deutlich gestiegenen Energiepreisen leiden. Betreiber von
Erneuerbaren-Anlagen sowie Atom- und Braunkohle-Kraftwerken sollen
voraussichtlich von Dezember 2022 bis Juni 2023 verpflichtet werden,
Gewinne am Spotmarkt, sofern sie gesetzlich festgelegte Grenzen
überschreiten, zu 90 Prozent an den Staat abzuführen. Für Strom, der
nicht am Spotmarkt, sondern an Terminmärkten oder über
Direktabnahmeverträge (z.B. PPAs) vermarket wird, sind eigene Regelungen
zur Abschöpfung vorgesehen. Aurora Energy Research hat auf Basis der Pläne analysiert, wie sich dies auf die Einnahmen und
die Rentabilität der Anlagen auswirkt.
"Unsere Berechnungen
zeigen, dass die Gewinnabschöpfung auf den ersten Blick einen
erheblichen Einschnitt in die Einnahmen von Erneuerbaren-Betreibern
bedeutet", sagt Lars Jerrentrup, Hauptautor der Studie. Die Einbußen
betragen zwischen 32 und 55 Prozent, wobei (per Marktprämie)
subventionierte Anlagen wegen schärferer Obergrenzen deutlich stärker
betroffen sind als nicht-subventionierte, und Photovoltaik-Anlagen
stärker als Windkraftanlagen (Photovoltaik: subventioniert -55%, nicht
subventioniert -36%, Windkraft (onshore): subventioniert -45%, nicht
subventioniert -32%). "Auf die langfristige Wirtschaftlichkeit der
Anlagen, ob subventioniert oder nicht, hat dies allerdings kaum
Auswirkungen", betont Jerrentrup: "Zum einen ist der Zeitraum, in dem
die Abschöpfung wirksam wird, überschaubar kurz, zum anderen sind die
Obergrenzen so angesetzt und mit Sicherheitsmargen versehen, dass die
Anlagen weiterhin profitabel bleiben."
Wie die Berechnungen von
Aurora zeigen, sorgen die hohen Strompreise dafür, dass der Ausbau der
Erneuerbaren Energien in Deutschland erstmals im großen Stil ohne
Subventionen rentabel ist. Selbst mit der Abschöpfung von Gewinnen in
den kommenden sieben Monaten erzielen die Anlagen auf die gesamte
Lebenszeit gesehen so hohe Renditen wie noch nie und wären auch ohne
Förderung profitabel. Auch für Atom- und Braunkohlekraftwerke hat die
Gewinnabschöpfung nur moderate Folgen. Denn viele dieser Kraftwerke
können überhaupt nur deshalb mehr Einnahmen generieren, weil ihre
Laufzeiten politisch gewollt verlängert wurden, um den Gasbedarf für die
Stromerzeugung zu reduzieren. Die so ermöglichten, unerwarteten
Zusatzgewinne der Betreiber werden durch die Abschöpfung lediglich
begrenzt.
Gewinnabschöpfung kann positiv wirken, birgt aber auch Risiken: Angesichts der Größenordnung der Übergewinne halten die Studienautoren
es somit für wirtschaftlich zumutbar, wenn die Kraftwerksbetreiber einen
Teil davon abgeben müssen, auch als Ausdruck gesellschaftlicher
Verantwortung. "Abgesehen davon sehen wir in dem Thema aber auch eine
Chance für die Erneuerbaren Energien", sagt Kornelia Stycz,
Projektleiterin bei Aurora Energy Research: "Bisher wurden sie häufig
als Preistreiber geschmäht, und die auf den Stromrechnungen ausgewiesene
EEG-Umlage bestärkte die Kritiker in dieser Ansicht. Jetzt dagegen
sehen die Verbraucher, dass sie von den günstigen Erneuerbaren
profitieren. Damit könnte in Zukunft auch die Akzeptanz von Projekten
steigen, was vor allem bei der Windenergie dringend notwendig wäre, um
die nationalen Ausbauziele zu erreichen."
Allerdings ist die
Gewinnabschöpfung auch ein massiver Eingriff in den Strommarkt und führt
zu einem Vertrauensverlust bei den Beteiligten - zumal derzeit offen
ist, ob die Maßnahme unter Umständen verlängert wird. Die Unwägbarkeiten
treffen auf einen Markt, der bereits durch die anhaltende Volatilität
der Strom- und Gaspreise, aber auch durch Pläne der EU-Kommission für
eine grundlegende Reform des Strommarktdesigns verunsichert ist. "Diese
Gemengelage könnte sich langfristig negativ auf die Risiko-Einschätzung
von Investoren und damit auf die Finanzierungsbereitschaft auswirken",
warnt Stycz. "Dabei wäre gerade jetzt ein deutlich beschleunigter Ausbau
der Erneuerbaren nötig, um die Unabhängigkeit von fossilen
Energieimporten zu reduzieren und die Dekarbonisierung voranzubringen."
Um das verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen, sehen die
Aurora-Experten deshalb die Politik auf europäischer und nationaler
Ebene in der Pflicht: Sie sollte möglichst schnell klare und
verlässliche Regelungen zu den zukünftigen Spielregeln im Strommarkt
schaffen.
Der Studienverfasser Aurora Energy Research ist ein Spezialist für Analysen und
Modellierungen der europäischen und globalen Energiemärkte. Gegründet
2013 von Ökonomen an der Universität Oxford, um dem steigenden Bedarf an
hochwertigen Daten und Fakten zum Energiemarkt zu begegnen, sind wir
mittlerweile unter anderem der größte Anbieter von Strommarktanalysen in
Europa. Mit mehr als 300 Energieexperten sowie aktuell acht Büros in
den wichtigsten EU-Ländern, Großbritannien, USA und Australien
unterstützen wir Unternehmen, Regierungen und Institutionen entlang der
gesamten Wertschöpfungskette bei langfristigen strategischen
Entscheidungen.
Weitere Informationen unter www.auroraer.com/
Details und weitere Ergebnisse der Analyse zu den
Auswirkungen der Gewinnabschöpfung im deutschen Strommarkt erfahren Sie
in einem kostenlosen öffentlichen Webinar am Freitag, 18. November 2022, 11:00-11:30 Uhr (in englischer Sprache). Anmeldung hier.