An Wasserstoff
glaubte einer schon vor 20 Jahren: Der US-Ökonom Jeremy Rifkin. In seinem Buch «Die
H2-Revolution» sah er damals eine solche als Weg, sich von der Abhängigkeit von
Ölimporten zu befreien. Mit Bezug auf den Öl-Konzern Shell hielt er fest, im
21. Jahrhundert würden Kohle, Erdöl und Erdgas einer völlig neuen Form der
Energieversorgung auf Wasserstoffbasis Platz machen (Rifkin S.189).
Zeitpunkt
dieser Feststellung war der Anfang dieses Jahrhunderts, von dem wir immer noch
erst einen Fünftel absolviert haben. Und die Technologie hat munter
Fortschritte gemacht. Daran angeschlossen
hat unlängst die prominente deutsche Klima-Ökonomin Claudia Kemfert. Sie sorgte
in letzter Zeit sowohl mit zwei Buchveröffentlichungen für Furore wie auch in Interviews, etwa mit
dem Frankfurter Handelsblatt, wo sie ganz klar Stellung bezog: «Wasserstoff ist
eine Zukunftstechnologie, so es sich denn um die grüne Variante handelt.»
Das mit den
Farbetiketten ist so eine Sache – denn nach gängiger Lesart kann Wasserstoff
grau, blau oder eben grün sein. Will heissen, er wird in der grauen Variante mit Erdgas erzeugt (wie
das bei Russlands Offensive wohl eindeutig so sein wird) und damit zu
einer weiteren CO2-Schleuder im Weltmassstab. Da kann man allenfalls entlastend
anfügen: Wo bisher die Verbrennung von Erdöl am Anfang der Erzeugung stand,
scheint die Verwendng von Erdgas ein Fortschritt zu sein (wenn nicht hohe
Transportverluste diesen gleich wieder zunichte machen). Ein Weg hin zu einer
CO2-freien Energiewelt ist die graue Variante aber nicht.
Weshalb sich eine
Wasserstoffwirtschaft auf der Basis von Erdgas verbietet? Gefragt ist der grüne
Weg, bei dem erneuerbare Energien zum Einsatz gelangen: Wasserkraft (wie bei
der Schweizer Versuchsanlage in Niedergösgen - siehe Bild) oder Windkraft (wie bei
angedachten Projekten in Norddeutschland und Norwegen) oder dann vor allem mit
dem weltweit vermutlich grössten Potential die Solarkraft. Deren Aufkommen etwa
in den arabischen Staaten, oder auch in Nordafrika und der Sahelzone, ist
unermesslich – und dort sind auch schon die grössten Wasserstoff-Anlagen in
Entwicklung (wie in Marokko). Trotz der Liebe der aktuellen Machthaber zur
Kohle (seitens der regierenden konservativen Partei) gilt schliesslich auch
Australien als Hotspot der künftigen (grünen) Wasserstoff-Erzeugung (es ist gar
von einer Wasserstoffachse zwischen Australien und Europa/Deutschland die Rede).
Sodann gibt es noch
den Blauen. Er wird zwar unter Verwendung von fossilen Energien erzeugt. Im
Fabrikationsprozess wird dabei das CO2 ausgeschieden und versprochenermassen
sicher gelagert, wie etwa in alten Kavernen. Schon länger sind solche
Technologien im Gespräch. Aber man kann sich nur schwerlich vorstellen, dass
das in grossem – problem-lösenden Umfang – jemals möglich sein wird (von den
Dimensionen wie von den Finanzen her gesehen). Das führt auch zu einen
Seitenblick auf die Klimastrategie der Grünen Partei der Schweiz, die in ihrer
neuesten Variante eine Lagerung von abgeschiedenem CO2 in Norwegen vorschlägt vorschlägt
–Details der Lösung aber noch schuldig ist. Das soll unglaublicherweise sogar
bereits im Jahr 2040 eine CO-negative Schweiz ergeben. Wer’s glaubt wird selig
und Grünen-Nationalrat Bastian Girod vielleicht noch mehr, denn er präsidiert
den Verband der Betreiber Schweizerischer Abfallverwertungsanlagen VBSA. Der
Verband fordert im Einklang mit den Grünen, das so genannte Carbon Capture and
Storage (CCS), wie der Beobachter bekannt machte – siehe hier >>>.
Da bleiben also
zumindest Zweifel, ob der blaue Wasserstoff der zu verfolgende Technologiepfad
sein kann. Zumal seine Praxistauglichkeit ebenso in den Sternen steht wie die
Lagerung von Atommüll. Vielmehr, das scheint für den Moment klar, muss der
Wasserstoff grün in seiner reinsten Form sein - von allem Anfang an also
CO2-frei! Da muss man unterdessen
gar nicht mehr so weit suchen, sondern wird erfreulicherweise selbst in der
Schweiz zumindest auf Projektebene fündig.
Und wozu soll’s
dienen? Nicht weniger als 1600 LKW, versorgt über 50 Tankstellen sollen in den
kommenden fünf Jahren schrittweise den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft Schweiz
markieren. Der Schweiz würde es damit im Lastwagenbereich gelingen, das erste
industrielle Wasserstoff-Ökosystem Europas aufzubauen. Dank dem Projekt Hyundai
Hydrogen Mobility sollen dieses Jahr schon die ersten 50
Brennstoffzellen-Elektrolastwagen des koreanischen Herstellers auf Schweizer
Strassen unterwegs sein (derzeit ist es je nach unterschiedlichen Angaben ein
einziger oder deren zehn). Gemietet werden sie von den Mitgliedern des privaten
Fördervereins H2 Mobilität Schweiz, dessen Mitglieder wiederum Tankstellenbetreiber, Transportfirmen – aber
auch die beiden grossen Einzelhändler Coop und Migros sind. Tanken sollen die
Lastwagen an gesamthaft sechs Tankstellen (bis Ende Jahr), wie der VSE schrieb siehe
>>> hier.
Naheliegend, dass
der Blick über die Grenzen in der Breite noch ergiebiger ist – wenn auch dort
noch vieles schwammig erscheint, etwa in Deutschland. Immerhin gibt es mehrere grosse
Projekte wie etwa dieses, das Energate bekannt machte: Fortschritte erzielt
demnach ein Wasserstoff-Forschungsprojekt in Sachsen-Anhalt. Im Industriepark
Leuna ist kürzlich der offizielle Baustart für einen 5-MW-Elektrolyseur
erfolgt. Dieser soll die Vorstufe für das dort geplante Reallabor
"GreenHydroChem" bilden (gemäss energate Wasserstoff Briefing vom
11.August 2020).
In
Zukunft soll also Mobilität CO2-neutral sein. Noch nicht klar ist, wie wir
Benzin und Diesel genau ersetzen werden. Von Batterien gespeiste Elektromotoren
dürften einen Grossteil der künftigen Fahrzeugflotte bei den Personenwagen (im
Gegensatz zum oben erwähnten Schwerverkehr) antreiben. Diskutiert werden die
beiden unterschiedlichen Wege etwa > energie-experten.ch
13.8.20.
Wie
realistisch sind die neuen Ziele beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft? In
einem Interview spricht die bereits erwähnte Claudia Kemfert, Leiterin der
Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung, über die Bedeutung von Wasserstoff für die Energiewende > rnd.de 16.8.20.
Auch unter Börsianern hat sich der Hype rund um die
neue Energie verbreitet – so schreibt der Newsletter institutional-money.com :
«Wasserstoff
könnte in unterschiedlichen Bereichen Anwendung finden – nicht zuletzt auch in
der Autoindustrie. Sogar 78 Prozent der Börsianer glauben, dass
Wasserstoff-Fahrzeuge im Wettrennen um die Technologie der Zukunft die Nase
vorn haben. Lediglich 22 Prozent sehen reine Stromer im Vorteil» - siehe hier
>>>. Woher gerade die Börsianer diese
Einschätzung nehmen, die ja bezüglich des Personenwagen diametral zu sonstigen
Prognosen steht, bleibt verborgen.
Eine ganze Nummer
hat soeben das Swissquote-Magazin dem Thema gewidmet: Sollte es diesmal
klappen, fragt das soeben erschienene Dossier zum Wasserstoff. Sogar anfangs
der 70er Jahre galt es demnach schon einmal, sich in der Energiewelt zu
entscheiden – und der Entscheid fiel gegen den Wasserstoff und zugunsten der
Atomkraft.... Und nun sind 10 Lastwagen auf CH-Strassen unterwegs – für die
keine Schwerverkehrsabgabe fällig ist (weshalb der Versuch wohl in der Schweiz
stattfindet). Ein 40-Tönner-LKW bräuchte ja mehrere Tonnen Batterien für weite
Distanzen, das verbietet sich aus verschiedenen Gründen. Und Bahnnetze müssen
nicht mehr elektrifiziert werden (in Folge dessen die Schweiz hierbei keinen
Markt darstellt). In den USA sind Gabelstappler (wohlgemerkt um die 25'000 an
der Zahl) schon länger mit Wasserstoff unterwegs. Die derzeit grösste Anlage
zur Produktion von grünem Wasserstoff steht schliesslich gemäss dem Dossier
bedeutungsschwanger in Fukushima. Und tollerweise gibt es bereits Kleinanlagen
wie in den französischen Alpen – auf zur Energieautarkie also! In Japan gibt es
zudem bereits 305'000 Privathäuser, die aus Wasserstoff Wärme und Strom
gewinnen.
Dass da wirklich
etwas im Busch ist, zeigt wohl auch das Vorhaben einer ersten Wasserstoff-Tagung
im November 2020. Roland Dittmeyer brachte
es im ZDF vom 29.8.20 auf den Punkt, warum der Hype jetzt gerechtfertigt ist: «Die
Mehrheit der Menschen realisiert inzwischen, dass wir ernsthaft gegen den Klimawandel
vorgehen müssen. Es gibt also genug politischen Druck. Auf der anderen Seite
haben wir heute die Situation, dass wir erneuerbaren Strom so günstig wie noch
nie herstellen können. Mit dem erneuerbaren Strom können wir über Elektrolyse
grünen Wasserstoff erzeugen und das setzt eine andere Dynamik in Gang als wir
sie in den vergangenen Jahrzehnten erlebt haben.» Siehe hier >>>.
Fazit:
Das Klimaziel 1,5/2-Grad-Erwärmung zu erreichen, ist zweifellos eine
Herkulesaufgabe – und bislang zweifelhaft. So viel scheint aber klar: Die Welt
braucht sehr viel mehr Erneuerbare Energie. Vor allem Sonne und Wind sind diesbezüglich
bei weitem erste Wahl – sowohl ökologisch (wenig CO2-Ausstoss in ganzer
Lieferkette) wie ökonomisch (immer billiger mit weiterem Potential zur Senkung
der Kosten). Da unregelmässig anfallend, wird eine Speicherung in grossem Stil
unausweichlich – die Wasserstofftechnologie bietet diesbezüglich die besten
Voraussetzungen. Etwa so wie bei der Milch, die schliesslich auch zum grossen
Teil in Käse umgewandelt werden muss, um in grossem Stil Absatz zu finden – was
man gerade Schweizer*innen eigentlich nicht erläutern muss (100 Gramm Käse
erfordern etwa 1 Liter Milch – und nur wenige kommen deshalb auf die Idee, die
Milchverarbeitung zu verdammen).
© Text GuntramRehsche / Solarmedia
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