Der deutsche Sachverständigenrat für Umweltfragen kritisiert die Bundesregierung: Die vorgesehene AKW-Laufzeitverlängerung gefährde den Erfolg der erneuerbaren Energien. Schon heute stünden Wind- und Wasserenergien ausreichend zur Verfügung.
Eine Bestätigung der These von der Behinderung der Erneuerbaren erfolgte gleich doppelt durch die TV-Sendungen Report Mainz vom Montag und die Tagesthemen der ARD vom Dienstag. Einerseits wird günstig erzeugtem Wasserstrom aus Norwegen der Zugang zum deutschen Markt verwehrt, andererseits machen die grossen vier deutschen Stromkonzerne wenig, um der Offshore-Windenergie zum Durchbruch zu verhelfen.
Nur vermeintliche Idylle - Atomkraftwerke sind nicht eine Brückentechnologie, sondern verhindern die Entwicklung der Erneuerbaren Energien, wie verschiedene Entwicklungen und Einschätzungen aus Deutschland nun belegen (Bild des AKW-Kühlturms in Gösgen bei Olten: Guntram Rehsche).
Nun erhebt sich eine weitere Stimme in ähnlichem Sinn: "Wir raten der Bundesregierung dringend davon ab, die Laufzeiten für Kernkraftwerke zu verlängern", so Prof. Dr. Martin Faulstich, Vorsitzender des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU). "Längere Laufzeiten sind keine Brücke, sondern ein Investitionshindernis für die erneuerbaren Energien." Ein am 22.09.2010 vom SRU veröffentlichter Kommentar zum Energiekonzept der Bundesregierung warnt davor, dass die Laufzeitverlängerung den Ausbau der erneuerbaren Energien bremsen und den Übergang zu einer zukunftsfähigen und nachhaltigen Stromversorgung in Deutschland gefährden wird. Der SRU gehört zu den ersten Institutionen wissenschaftlicher Politikberatung für die deutsche Umweltpolitik. Er wurde im Jahr 1971 von der Bundesregierung eingerichtet. Besondere Merkmale des SRU sind seine Interdisziplinarität und seine fachliche Unabhängigkeit. Er besteht aus sieben Universitätsprofessoren mit besonderer Umweltexpertise, die unterschiedliche Fachdisziplinen vertreten. Diese werden von der Bundesregierung für vier Jahre ernannt.
Die Bundesregierung entwickelt mit ihrem Energiekonzept erstmals Leitlinien für die langfristige Energieversorgung in Deutschland und weist dabei den erneuerbaren Energien eine zentrale Rolle zu. Der SRU begrüßt dies, zeigt aber auf, dass die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke im Widerspruch zu diesen Zielen steht. Es bestehe ein grundsätzlicher Konflikt zwischen der schwankenden Stromeinspeisung aus erneuerbaren Energien und den grundlastorientierten konventionellen Kraftwerken, so der SRU. Kohle- und Kernkraftwerke könnten aufgrund ihrer technischen Eigenschaften nur bedingt zum Lastfolgebetrieb eingesetzt werden, sie könnten also die schwankende Einspeisung aus erneuerbaren Energien nicht flexibel genug ergänzen. Abregelungen und Abschaltungen von Kohle- und Kernkraftwerken werden bei fortschreitendem Ausbau der erneuerbaren Energien häufiger notwendig, so der SU. Dadurch sinke deren Auslastung.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien senkt laut SRU die Wirtschaftlichkeit grundlastorientierter Kraftwerke. Die Laufzeitverlängerung stabilisiere jedoch dauerhaft einen hohen Anteil an Grundlast. Damit wachse die Gefahr, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) unter Druck gerät und sich die Bedingungen für erneuerbare Stromerzeugung verschlechtern. Aus Sicht des SRU sollte das EEG zukünftig zwar kostensensibel weiterentwickelt werden. Einspeisevorrang und garantierte Vergütung für die fluktuierend erzeugenden erneuerbaren Energien bleiben laut SRU jedoch gerade im Fall einer Laufzeitverlängerung unverzichtbar. "Die Bundesregierung sollte unmissverständlich klarstellen, dass sie an den beiden Säulen des EEG, Vorrang und garantierte Vergütung, festhalten will", so die Ökonomin im Rat, Prof. Holm-Müller.
Auch aus den von der Bundesregierung vorgelegten aktuellen Energieszenarien lassen sich keine wesentlichen volkswirtschaftlichen oder umweltpolitischen Vorteile einer Laufzeitverlängerung ableiten, betont der SRU. Die Nachteile und Risiken einer Verlängerung seien jedoch gut belegt. "Statt den gefundenen gesellschaftlichen Konsens zur Kernenergie aufzukündigen und neue Investitionsunsicherheit zu schaffen, sollte die Bundesregierung ihre Kräfte auf die zukunftsweisenden Elemente des Energiekonzeptes in den Bereichen Klimaschutz und Effizienz konzentrieren", heißt es in der Pressemitteilung des Sachverständigenrates.
Der SRU hat im Mai 2010 in seiner Stellungnahme "100% erneuerbare Stromversorgung bis 2050: klimaverträglich, sicher, bezahlbar", gezeigt, wie eine vollständig erneuerbare Stromversorgung erreichbar wäre. Anfang 2011 erscheint ein Sondergutachten, das zusätzlich konkrete Vorschläge zur Umsetzung vorlegen wird. Alle Publikationen des SRU stehen zum Download zur Verfügung unter www.umweltrat.de
Die Zusammensetzung des Rates aus sieben Universitätsprofessorinnen und -professoren verschiedener Fachdisziplinen gewährleiste eine wissenschaftlich unabhängige und umfassende Begutachtung, sowohl aus naturwissenschaftlich-technischer als auch aus ökonomischer, rechtlicher, politikwissenschaftlicher und ethischer Perspektive, so der SRU. Der Rat besteht derzeit aus folgenden Mitgliedern: Prof. Dr. Martin Faulstich (Vorsitzender), Technische Universität München; Prof. Dr. Heidi Foth (stellv. Vorsitzende), Universität Halle-Wittenberg; Prof. Dr. Christian Calliess, Freie Universität Berlin; Prof. Dr. Olav Hohmeyer, Universität Flensburg; Prof. Dr. Karin Holm-Müller, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; Prof. Dr. Manfred Niekisch, Goethe Universität Frankfurt, Zoologischer Garten Frankfurt; Prof. Dr. Miranda Schreurs, Freie Universität Berlin.
© Solarmedia / Weitere Informationen unter www.umweltrat.de
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