Mittwoch, 11. Mai 2011

«Das Potential ist riesig»

Auch die Schweiz kann sich zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien und weit gehend selbst versorgen, ja sie bietet sogar besonders gute Bedingungen für einen schnellen Umstieg von der fossilen zur erneuerbaren Energieversorgung. Abkehr von der Atomenergie inbegriffen, wie Nationalrat und Buchautor Roger Nordmann (38) im folgenden Interview begründet. Er sitzt für die sozialdemokratische Partei seit 2004 im Nationalrat. Dort ist er unter anderem Mitglied der Umweltkommission (UREK). Er schloss seine Studien in Wirtschaft und Politik ab und ist seit 2010 Präsident des solarenergetischen Fachverbandes Swissolar. Das folgende Exklusivinterview erschien in Auszügen zuerst in der Zeitschrift «Aufbruch» und wurde von Solarmedia-Redaktor Guntram Rehsche geführt.

Solarmedia: Ihr auf Französisch erschienenes Buch «Libérer la Suisse des énergies fossiles» skizziert den Weg zur Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien. Nun erscheint das Buch auf Deutsch mit dem Titel «Atom- und erdölfrei in die Zukunft» (siehe Cover). Mussten auch Sie umdenken nach der Atomkatastrophe in Japan?

Roger Nordmann: Nein, der Inhalt des Buches blieb gleich. Den ursprünglich auf die fossilen Energien fokussierten Titel wählte ich, weil in der Schweiz rund 70 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs fossiler Natur ist. Der Atomanteil beträgt dagegen nur zehn Prozent. Unser Hauptproblem ist also fossiler Natur, aber natürlich müssen wir den Verbrauch atomarer Energien hinter uns lassen. Der Orell Füssli Verlag wählte den Titel der deutschsprachigen Ausgabe übrigens einen Monat vor der Atomkata-strophe in Japan.

SM: Geht es denn ohne Atomenergie?

RN: Eindeutig! Das Potenzial der Erneuerbaren ist auch hierzulande riesig. Die Frage stellt sich allerdings, zu welchen Kosten wir sie nutzbar machen können – und wie viel Energie wir überhaupt benötigen. Also spielt auch die Frage der Energieeffizienz eine zentrale Rolle.

SM: Betrachten wir den Gesamtenergieverbrauch: Besteht nicht die Gefahr, dass Erdgas eine gleiche Rolle spielen wird wie Erdöl in den 80er und 90er Jahren – also in den nächsten drei bis vier Jahrzehnten zu tiefen Preisen den Energiemarkt überschwemmt und die teure-ren Erneuerbaren aus dem Markt drückt?

RN: Ein gewisses Risiko besteht. Dennoch wird der Gaspreis nicht so tief sinken, zumal er bislang stets eng an den Ölpreis gekoppelt war. Letztlich sind auch die Gas-reserven beschränkt und Öl und Gas weit gehend substituierbar. Auch Gas ist nur beschränkt verfügbar, vor allem in Form der leicht zugänglichen Reserven. Wir müs-sen also unbedingt vermeiden, in grossem Stil auf Gas zurückzugreifen, weil es nicht zukunftsfähig ist, höchstens in kleinen Mengen in einer Übergangsphase.

SM: Immer wieder ist von der Doppelstrategie Effizienz einerseits, Förderung der Erneuerbaren andrerseits die Rede, aber kaum von Suffizienz oder geringerem Ver-brauch?


RN: Das geschieht mit Absicht. Ich glaube zwar schon, dass wir auch mit weniger Flugreisen und weniger gefahrenen Autokilometern noch gleich glücklich sind. Weite-res Wachstum, auch des Energieverbrauchs, bringt uns in den reicheren Industriena-tionen kaum mehr zusätzlichen Wohlstand. Aber in einer Welt mit voraussichtlich neun Milliarden BewohnerInnen im Jahre 2040 wird nur dann ein sinnvolles Zusam-menleben möglich sein, wenn Wohlstand für alle gesichert ist. Bildlich gesprochen gilt: Nicht zurück zum Gebrauch der Kerze, die wenig Licht spendet und viel CO2 erzeugt hin zur Leuchtdiode, die mit wenig Energie eine optimale Ausbeute ergibt.


SM: Welche Form der Energie wird die zentrale Rolle in dieser Entwicklung spielen?


RN: Die dank erneuerbaren Energien erzeugte Elektrizität. Strom ist, falls mit Son-nen- oder Windenergie erzeugt, bei der Produktion weitaus am effizientesten. Pro Quadratmeter Boden- oder Dachfläche ergibt sich ein rund 20mal höherer Ertrag als etwa beim Einsatz von Biomasse.

SM: Also steht Solarenergie im Vordergrund?

RN: Oder deren Abwandlung in Form von Wind- und Wasserkraft. Letzteres ge-schieht ja in der Schweiz bereits sehr ausgeprägt. Strom ist ganz allgemein die edel-ste Form von Energie und wird deshalb in Zukunft auch die wichtigste Energieform darstellen.

SM: Solarstrom ist noch immer die teuerste Energieform?


RN: Die Fortschritte der photovoltaischen Stromerzeugung (also der direkten Um-wandlung von Licht in Elektrizität mittels Solarzellen) haben in jüngster Vergangen-heit alle Hoffnungen übertroffen. Der Wirkungsgrad ist heute viel höher, die Erträge ebenfalls und die Kosten der Erzeugung sind radikal gesunken. Innerhalb von zehn bis 15 Jahren erwarte ich, dass photovoltaisch erzeugter Strom überhaupt die billig-ste Form der Stromerzeugung sein wird.

SM: Aber eben, heute immer noch die teuerste?


RN: Nicht mehr generell. So ist beispielsweise der in Kleinwasserkraftwerken erzeug-te Strom gelegentlich teurer als PV-Strom. Wir konnten in der Schweiz, parallel zur Entwicklung in anderen Staaten, entsprechend ja auch die für Solarstrom vergüteten Kosten zweimal um je 18 Prozent senken. Und es ist nicht auszuschliessen, dass diese extrem schnelle Entwicklung so weiter geht. Sicherlich wird auch in vier bis fünf Jahren hierzulande bereits die so genannte Grid Parity erreicht – der Strom ab Steckdose also nicht mehr billiger sein als jener von einer eigenen PV-Anlage auf dem Dach. Dieser Preis liegt im schweizerischen Durchschnitt bei rund 23 Rappen pro Kilowattstunde.

SM: Photovoltaik wird sicherlich nicht plötzlich die alleinige Energiequelle sein?

RN: Natürlich nicht. Die Verstromung von Biomasse wird gerade in der Schweiz – idealerweise kombiniert mit der Wärmegewinnung – eine wichtige Rolle spielen. Zu-dem gibt es noch ein kleineres zusätzliches Potenzial der Nutzung von Wasserkraft, ohne deshalb den letzten Bach zu betonieren. Wind bietet trotz aller Einwände auch in der Schweiz Optionen. Da rechne ich ebenso wie meine Partei in ihrem neuen SP-Energieprogramm beispielsweise mit einer möglichen Windproduktion von vier Ter-rawattstunden, also rund sieben Prozent des Gesamtstromverbrauchs. Was die Er-richtung von etwa 1000 Windkraftanlagen bedingen würde. Matchentscheidend ist dabei, dass dieser Strom vor allem im Winter anfällt, wenn die Photovoltaik wenig Ertrag liefert.

SM: In einer Lebenszyklusanalyse zeigt sich, dass auch die erneuerbaren Energien die Umwelt belasten. Wird das nicht zum Problem, sobald deren Einsatz in riesige Di-mensionen hineinwächst?

RN: Bei der Photovoltaik bin ich auf jeden Fall skeptisch gegenüber Anwendungen, die auf Schwermetalle in den Solarzellen abstellen. Alle anderen verwandten Mate-rialien lassen sich recyclieren, wobei es bei vereinzelten Metallen wirklich zu Knapp-heiten kommen könnte. Doch auch diesbezüglich zeigt die Technologie laufend Fort-schritte.

Lange Zeit galt ja die Graue – also bei der Herstellung der Produktionsmittel verwen-dete - Energie als Problem. Doch heute weist die Windenergie einen Erntefaktor von gegen 70 auf, und auch in der Photovoltaik erreicht er je nach Technik einen Faktor von zehn bis 30. Um diesen Faktor wird in der Anwendung mehr Energie erzeugt als zur Produkton nötig war.

SM: Mit welchem Ertragspotential rechnen Sie denn bei der direkten Solarstromerzeugung?

RN: Einfach nutzbare, gut ausgerichtete Dächer bieten sich in unserem Land an, etwa 40 Prozent des aktuellen Stromverbrauchs abzudecken, also rund 25 Terawattstunden zu erzeugen. Bis ins Jahr 2025 sollte die Hälfte dieses Potentials realisierbar sein.

SM: Besteht da keine Konkurrenz mit der auch vom Fachverband Swissolar, den sie präsidieren, propagierten Nutzung der solaren Wärmegewinnung?

RN: Dieser Solarthermie bleiben ja viele Möglichkeiten, weil wir fürs Erste nur an-streben, die Hälfte der verfügbaren Flächen für die Photovoltaik zu nutzen. Also ist es gut möglich, beispielsweise auf einem Einfamilienhaus fünf bis zehn Quadratmeter für die Wärmeerzeugung mit Sonnenkollektoren auszusparen – und den Rest mit photovoltaischen Solarmodulen zu belegen. Anders ist es etwa bei Mehrfamilienhäu-sern, die anteilsmässig mehr Fläche für die Solarthermie benötigen. Was aber wie-derum bei Firmendächern oder Infrastrukturanlagen weniger der Fall ist – dort also mehr Möglichkeiten für die Photovoltaik bietet.

SM: Nehmen wir all diese Potenziale für gegeben: Ist da nicht der politische Wille, die-sen Weg wirklich zu beschreiten, die knappe Ressource?

RN: Selbstverständlich braucht es einen starken politischen Willen, die Vollversor-gung mit erneuerbaren Energien anzustreben. Aber selbst weiterhin unbeirrte Ver-fechter der Atomtechnologie wissen unterdessen, wie schwierig es sein wird, dem Volk neue Atomkraftwerke schmackhaft zu machen. Und weil der Weg über einen stark steigenden Energieimport auch nicht wünschbar erscheint, bleiben nur die Er-neuerbaren.

SM: Wie erklären Sie eigentlich deren Vorteile ihren beiden Kindern?

RN: Erneuerbare Energien kommen gratis zu uns, niemand muss für die Nutzung von Wind oder Sonne bezahlen. Und beide sind dauerhaft verfügbar, nicht wie die Schachtel Cornflakes, die irgendwann mal leer ist.

© Solarmedia

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