Erneuerbare Energien seien unzuverlässig, bemängeln Kritiker. Unternehmen und Forscher wollen jetzt mit einem regenerativen Kombikraftwerk beweisen, dass ein ganzer Landkreis komplett mit sauberem Strom versorgt werden kann - dauerhaft und nachhaltig.
Besucher aus der ganzen Welt reisen in das Städtchen Dardesheim im deutschen Landkreis Sachsen-Anhalt (siehe Bild), das noch bis vor wenigen Jahren nur durch ein erfolgreiches Stadtorchester überregional von sich Reden machte. Heute glänzen auf vielen Dächern Photovoltaikanlagen, Elektroautos fahren mit Ökostrom, der Windpark speist 40 Mal soviel Energie ins Netz, wie die Einwohner verbrauchen. Der überschüssige Strom aus Dardesheim soll jetzt in ein viel größeres Projekt fließen, bei dem Windparkbetreiber Bartelt treibende Kraft ist. Durch ein "regeneratives Kombikraftwerk" sollen die rund 250.000 Einwohner des Landkreises Harz künftig nur noch mit Ökostrom beliefert werden. Dafür verknüpft das virtuelle Kraftwerk erneuerbare Energiequellen wie Wind-, Solar- und Biomasse zu einer Einheit.
Seit Ende vergangenen Jahres arbeiten Universitäten, vier Stadtwerke, Vattenfall Europe Transmission, Siemens, Eon Avacon und andere Unternehmen an dem Projekt "Regenerative Modellregion Harz". Das Ziel der mit zehn Millionen Euro vom Bund geförderten Forschungskooperation ist stabiler Ökostrom - egal bei welchem Wetter. Die Vorteile liegen auf der Hand: Kein CO2-Ausstoß, keine Abhängigkeit von Öl, Gas und Kohle und unerschöpfliche Energiequellen. Doch kann das wirklich funktionieren? Kritiker zweifeln vor allem an der Zuverlässigkeit von Solar- und Windkraft. Sie seien nicht steuerbar, eine sichere Stromversorgung nicht gewährleistet. Wissenschaftler des Instituts für Solare Energieversorgungstechnik (ISET) an der Universität Kassel konnten in einem Modellversuch allerdings schon 2007 das Gegenteil beweisen. Das Ergebnis: Eine Vollversorgung Deutschlands ist theoretisch möglich und bei vier bis fünf Cent pro Kilowattstunde Strom im Jahr 2050 sogar konkurrenzfähig.
Das Kombikraftwerk der Forscher erstreckte sich mit 36 Anlagen über ganz Deutschland. Die Wissenschaftler simulierten ein Zehntausendstel des deutschen Strombedarfs und rechneten anschließend hoch. "Die Energiequellen müssen wie ein Orchester koordiniert werden", erklärt Kurt Rohrig, Projektleiter am ISET, das mittlerweile im Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) aufgegangen ist. Eine zentrale Steuerungseinheit regele die Feinabstimmung zwischen den einzelnen Energiequellen. Hier wird entschieden, wieviel gespeicherte Energie aus Biogasanlagen zugeschaltet werden muss, falls kein Wind weht und der Himmel bedeckt ist.
Um eine flächendeckende Versorgung in der Zukunft tatsächlich sichern zu können, müssten allerdings viel mehr Anlagen gebaut werden, räumt Rohrig ein. Probleme gibt es auch bei der Netzstruktur: Erneuerbare Energien werden vor allem im Osten und im Norden gewonnen. Damit der Strom transportiert werden kann, muss das Netz weiter ausgebaut werden. Es gibt noch zu wenige Speichermöglichkeiten für überschüssige Energie. Ein weiterer Knackpunkt des Kombikraftwerks: Im Moment gibt es zu wenige Speichermöglichkeiten wie etwa Pumpspeicherkraftwerke, bei denen überschüssige Windenergie genutzt werden kann, um Wasser in ein hochgelegenes Becken zu befördern.
Auch in anderen Teilen Deutschlands gibt es Projekte zur dezentralen Energieversorgung. Die Nordseeinsel Föhr will künftig ihren gesamten Stromverbrauch mit Solarzellen und Windrädern bestreiten, das niedersächsische Jühnde versorgt sich schon jetzt vollständig mit einer Biogasanlage. "Viele Gemeinden oder Regionen streben eine hundertprozentige Eigenversorgung mit erneuerbarer Energie an und verfolgen damit zumindest den Grundansatz eines Kombikraftwerks", sagt Peter Moser vom Kasseler Kompetenznetzwerk Dezentrale Energietechnologien (deenet).
Quelle: Spiegel Online
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