Montag, 18. Oktober 2010

Wann verlässt uns das Erdöl?

Er hat sich in die Höhle des Löwen begeben, Ralph Stadler, Country Chairman of Shell Switzerland, nämlich an die ASPO-Tagung vom 16. Oktober 2010 in Basel. Dort liess der Erdölfachmann verlauten: „Ab 2013 wird Shell erstmals mehr Gas als Öl verkaufen.“ Kommt Shell nicht mehr so leicht ans Erdöl ran?

Auch wenn Ralph Stadler diese Entwicklung in einen grösseren Rahmen stellt, nämlich in den, dass Shell mit dem Umstieg auf das saubere Gas viel für die Umwelt tue, ist sie doch ein starkes Indiz dafür, dass Shell das Erdöl ausgeht und damit der Peak Öl Realität ist. Dass sich die Indizien verstärken, dass der Peak Oil bereits 2005 eingetroffen ist, das führte an der ASPO-Tagung anhand seiner gesammelten Daten auch Werner Zittel aus. Er ist Mitglied des Vorstands von ASPO Deutschland und gilt als einer der führenden internationalen Forscher auf dem Gebiet der Reichweite der fossilen Energien Er ist überzeugt, dass auch der Peak Gas viel näher ist, als die Industrie uns glauben lässt. Auch da basiert seine Meinung auf seit Jahren gesammelten Daten über die Funde und die Produktion fossiler Energien.

Wie lange wird das Kamel noch seine Runden bei Erdölbohrungen drehen?









Mehr als Milch
: „Durchschnittlich fünf Liter Erdöl ‚konsumiert‘ jede Schweizerin und jeder Schweizer täglich. Das heisst, wir verbrauchen in der Schweiz mehr Erdöl als Milch“, rechnete Daniele Ganser, Präsident der ASPO Schweiz vor. Die Association for the Study of Peak Oil and Gas Switzerland ist Teil einer internationalen Organisation, die, so Ganser „dank der guten Vernetzung immer über sehr aktuelles Datenmaterial verfügt“. Das bekannteste Mitglied von ASPO Schweiz ist wohl die frisch gewählte Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Doch zurück zum Erdöl: Weltweit werden täglich 85 Millionen Barrel Erdöl verbrannt, 240‘000 davon in der Schweiz. Friedensforscher Ganser setzt sich auch als Historiker für einen möglichst raschen Ausstieg aus der Erdölabhängigkeit ein. Wie viele ASPO-Mitglieder aus der ganzen Welt zeigt er an Vorträgen eindrücklich, wo die Verteilungskriege bereits begonnen haben, so zum Beispiel mit dem Einmarsch der Amerikaner im Irak. Oder wie Werner Zittel erklärt: „Die Amerikaner bleiben in Afghanistan, um sich den Zugang zu den grössten Gasfeldern der Welt zu sichern, die sich im Iran und in Katar befinden.“ Ob diese Gasfelder aber wirklich so riesig sind, stellt er anhand seiner gesammelten Daten in Frage.

Peak Oil: Auslöser der weltweiten Wirtschaftskrise?
Werner Zittel zeigte anhand seiner Folien, dass die weltweite Förderung von Rohöl seit 2005 und auch der Abbau von Ölsand stagnieren. Die höhere Produktion sei in erster Linie auf eine bessere Prozesstechnik in der Verarbeitung zurückzuführen. Werner Zittel: „Es ist denkbar, dass es auf dem Weltmarkt bereits 2030 kein Rohöl mehr zu kaufen gibt.“ Da muten die vom Shell-Fachmann Ralph Stadler gezeigten Energieprognosen schon fast grössenwahnsinnig an: „Bis 2050 wird sich der Energiebedarf der Welt verdoppeln. Doch wir sehen als Shell keine Abkehr von Erdöl und Gas. Die kommenden Jahrzehnte wird die weltweite Energieversorgung weiterhin aus zwei Dritteln fossiler Energien garantiert werden.“ Neben Öl und Gas sieht Ralph Stadler ein grosses Potenzial in der CO2-Speicherung: „Warum sollten wir diese Technologie nicht nutzen? Sie ist sehr effizient und ermöglicht uns, das Klima zu schonen.“ Werner Zittel sieht in der Technologie der CO2-Speicherung „vor allem eine Möglichkeit der Industrie, insbesondere der Kohleindustrie, ihre Gewinne zu maximieren“.

„Die Diskussion um die Endlichkeit der fossilen Energien ist heute sicher eine ganz andere als in der Vergangenheit“, ist Bernhard Guzenhauser, Schweizer Erdölgeologe und Vize-Präsident der Schweizerischen Petroleumgeologen und Ingenieure (VSP) überzeugt. „Vor allem das Ende des Erdöls ist absehbar“, erklärt er, auch wenn neue technische Möglichkeiten es erlauben würden, Erdölfelder bis zu 10% besser auszubeuten als bis anhin. „Aber diese technischen Mittel zögern das Ende des Erdölzeitalters nur hinaus“, gab er zu bedenken. Dass der Peak Oil bereits erreicht sei, bestätigte er aber nicht. Und was die Endlichkeit von Erdgas betrifft, so schätzt er dessen Reserven noch als beachtlich ein. Bernhard Guzenhauser glaubt aber, dass sich die Erdölgeologen dank des unwahrscheinlich grossen Potenzials der Geothermie zu „Energiegeologen“ wandeln würden. Weder er noch Ralph Stadler erwähnten einen Umstand, auf den Daniele Ganser an seinen Vorträgen jeweils aufmerksam macht: Durch den Peak Oil wird der Ansturm auf Gas noch grösser werden und dessen Reserven viel schneller schwinden.

Schlagwort Diversifikation Während ASPO-Fachleute die Diversifikation im Bereich der erneuerbaren Energien als selbstverständlich erachten, denkt Ralph Stadler bei diesem Stichwort an etwas anderes: „Nebst dem Umstieg auf Gas sehen wir auch den Abbau von Erdölsanden als einen Schritt hin zu einer höheren Diversifikation.“ Shell sei zudem daran, diesen Abbau dank technischen Anpassungen ökologischer und effizienter zu gestalten. „Natürlich sind die Bilder von den Abbauregionen nicht sehr schön“, räumt er ein, „aber wir werden danach selbstverständlich alles wieder renaturieren, und dann können wir wieder schönere Bilder dieser Regionen zeigen.“ Neben Erdöl und Erdgas setzt Shell zudem auf Biotreibstoffe, „deren zweite Generation nicht die Lebensmittel konkurrenzieren wird und die auch viel effizienter sind als die erste Generation.“

Krieg oder Frieden?
: Daniele Ganser plädiert auch aus Sicht der Friedensforschung dafür, sich auf das Ende des Erdölzeitalters vorzubereiten: „Es ist wie der Aufstieg aufs Matterhorn oder bei irgendeiner Bergwanderung: Keinem von uns käme es in den Sinn, erst am Nachmittag auf einen hohen Berg zu steigen, weil wir wissen, dass wir vor Einbruch der Nacht wieder absteigen müssen. Das sollten wir auch im Bereich Energie tun: Das Ende der fossilen Zeit ist absehbar, die Probleme, die das mit sich bringt, sollten wir heute angehen. Es gilt, Verteilungskriege abzuwenden.“ Die Frage um Verteilungskriege wurde auch an der Schlusspodiumsdiskussion noch einmal aufgenommen. Ralph Stadler von Shell dazu: „Indem wir Ölsand in Kanada abbauen, umgehen wir Konflikte in anderen Ländern.“ Die Replik von Walter Zittel kommt prompt: „Herr Stadler, wenn Sie sagen, Sie würden mit dem Abbau in Kanada Konflikte vermeiden, dann sagen Sie das aus der sicheren Distanz aus Europa. Wenn Sie sich vor Ort begeben würden, wüssten Sie, dass Sie den Konflikt ins Land hineintragen.“

Auch 2011 hochkarätige Vorträge
: Wer sich für das Thema Peak Oil und die Tätigkeiten der ASPO interessiert, kann sich auf der Homepage der ASPO Schweiz www.aspo.ch und auf www.peakoil.ch informieren. Die ASPO Schweiz ist ein Verein mit 413 Mitgliedern, darunter viele Politiker. Natürlich sind neue Mitglieder herzlich willkommen. New Generation heisst die neu gegründete Gruppe für die jüngeren Mitglieder der ASPO, die zukünftig auch in Schulen auftreten werden, da Daniele Ganser aufgrund der grossen Nachfrage nach Vorträgen nicht mehr alles alleine machen kann. Am 18. Juni 2011 findet übrigens die nächste Jahrestagung der ASPO Schweiz statt. Reservieren Sie sich das Datum, Sie werden nicht enttäuscht sein vom Anlass, der für alle offen ist.

Text: Anita Niederhäusern / ee-news

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