Wie in anderen Staaten ist in der Schweiz nach den Ereignissen in Japan der Atomstreit neu entbrandt – dabei war gerade erst die umstrittene Abstimmung über den Neubau eines AKW im bernischen Mühleberg, die konsultativ eine ganz knappe Befürwortung ergeben hatte. Die Stimmung dürfte unterdessen deutlich gekehrt haben.
Als die Berner SP am Samstag forderte, das zu Fukushima bauähnliche AKW Mühleberg sofort still zu legen, war der Berner FDP-Jungnationalrat Christian Wasserfallen wieder einmal schnell zur Stelle mit dem Vorwurf des Populismus. Da werde eine völlig andere Situation und ein in der Schweiz undenkbarer Erdbebenfall missbraucht, um Stimmung gegen die sicheren CH-AKW zu machen. Das ist die Masche des Berner Hardliners, der sich in jüngster Zeit als grosser Verfechter neue Atomanlagen in der Schweiz hervorgetan hat – deckte er doch auch in der Freitags-Arena von Fernsehen DRS die Gegenseite mehrfach mit dem Populismus-Vorwurf ein.
Doch Wasserfallen steht ziemlich einsam da. Das wird deutlich, schlägt man die Schweizer Sonntagspresse auf. Die NZZ mahnt noch vorsichtig, ein solcher Vorfall im eigentlich so sicheren Japan müsse schon dazu führen, auch die hiesigen Verhältnisse zu überdenken, auch wenn sie nicht deckungsgleich seien. Erstaunlicherweise viel forscher argumentiert da die aus dem Atomkanton Aargau stammende Sonntagszeitung «Sonntag»: Chefredaktor Patrik Müller überschreibt seinen Kommentar mit «Das ist unmöglich» - bezugnehmend auf die Äusserungen so vieler Energieexponenten in der Schweiz, die diesen japanischen Vorfall wohl bis zum Freitag für unmöglich erachtet hätten. Was für den Chefkommentator selbst galt, wie er eingesteht.
Nun war es natürlich gar nicht so unmöglich, hörte man nur auf eine andere Gruppe von Experten, die halt stets als Ideologen schlecht gemacht wurden. Sowohl Greenpeace-Exponenten wie auch der Darmstädter Öko-Institutsangehörige Michael Sailer wurden stets in diese Ecke verwiesen, obwohl sie genau auf solche Gefahren aufmerksam machten und den von aussen verursachten GAU eben nicht als unmöglich bezeichneten. Sie sind derzeit in den deutschen TV-Anstalten die gefragtesten Kommentatoren – das hiesige Fernsehen hält sich demgegenüber mit schon früher kritischen Stimmen zurück und lässt in erster Linie die Abwiegler zu Wort kommen, seien es jene der eidgenössischen Nuklearsicherheit oder auch ETH-Professoren, wie etwa Michael Prasser, der über Radio DRS am Samstagabend noch von einer geringen Gefährdung sprach.
Beurteilten den Beitrag der Atomenergie zur Lösung der Klimaproblematik an einer Diskussion im vergangenen Herbst unterschiedlich: ETH-Professor Horst-M. Prasser und Michael Sailer vom Oeko-Institut in Darmstadt/Berlin (Foto: Guntram Rehsche).
Zurück zur Zeitung «Sonntag». Denn da äussert sich nicht nur der Chefredaktor selbstkritisch. Es kommen auch bislang uneingeschränkte AKW-Befürworter zu Wort wie der Solothurner Ständerat Rolf Büttiker, seines Zeichens auch Verwaltungsrat des AKW Leibstadt, seine erstaunlichen Einschätzungen seien hier wortwörtlich wiedergegeben: «Ich habe ein solches Ereignis nicht für möglich gehalten. Es stellt eine völlig neue Dimension dar und muss auch in der Schweiz zu einer Neubeurteilung der Risiken führen.» Es sei falsch zu sagen, so etwas könne in der Schweiz nicht passieren, so Büttiker weiter, der sich damit nicht nur dem Berner Nationalrat Wasserfallen entgegenstellt, sondern auch Bundesrätin Leuthardt, die in der Sonntagstagesschau das genaue Gegenteil behauptete. Und Büttiker schliesst gemäss «Sonntag» mit der Aussage, «wenn wir zum Schluss kommen sollten, das die Risiken der Kernkraft zu gross geworden sind, müssen wir auf den Neubau eines Schweizer Werks verzichten».
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