Das Cern, Inbegriff der internationalen naturwissenschaftlichen Forschung, hat eine Technologie entwickelt, die dem Standort Genf konkreten Nutzen bringt. Zu bestaunen ist das Resultat seit Mai 2010 auf dem Dach eines der Gebäude der Strassenbaufirma Colas in Genf - eine solarthermische Musteranlage mit hohem Innovationspotential.
Das Projekt präsentiert sich in Form von 80 Quadratmetern grossen solarthermischen Ultravakuum-Flachkollektoren, die Temperaturen von über 300 Grad erreichen können, eine für solarthermische Kollektoren
noch nie erreichte Spitzenleistung. Entwickelt hat die Technologie die spanisch-schweizerische Gesellschaft SRB Energy, auf der Basis eines Patents des CERN. «Im Strassenbau ist der Energiebedarf sehr gross», erklärt dazu Adriano Guzzo, Direktor der Genfer Colas-Filiale in einem Bericht von «energia», dem Newsletter des Bundesamts für Energie. «Da der grösste Energieanteil fossilen Ursprungs ist, sind wir den Preisschwankungen des Marktes ausgeliefert. Dazu kommt, dass wir die Schwankungen nicht einfach auf die Produktpreise abwälzen können. Das ist der Grund, weshalb wir uns schon seit längerem mit der Diversifikation unserer Energiequellen befassen.»
Der ökologische Wandel von Colas Suisse entstand nicht von heute auf morgen. «Begonnen
haben wir 1984 mit dem Ausbau des Schienentransports für unsere Waren», sagt Guzzo. Im Jahr 2004 unterzeichnet Colas Suisse unter der Ägide der Energieagentur der Wirtschaft (EnAW) eine Zielvereinbarung mit dem Bund, wonach die Firma Colas Suisse ihre CO2-Emissionen bis Ende 2010 um 25 Prozent verringern soll. Ein Jahr später, 2005, stürzt sich Colas Genf ins Solarabenteuer und rüstet Wohnwagen und Baustellencontainer mit Sonnenkollektoren aus. «Diese Wohnwagen haben unserer Firma im Jahr 2007 den Preis für nachhaltige Entwicklung des Kantons Genf eingebracht», erinnert sich der Direktor des Unternehmens.
«Es war von Anfang an unser Ziel, die solarthermische Energie in unsere Industrieprozesse zu integrieren, gerade was die Vorbereitung von bitumenhaltigem Mischgut betrifft, das eine Temperatur um 180 Grad verlangt», erklärt Marc Maranzana, Abteilungsleiter der Materialverwaltung bei Colas Suisse. Das Mischgut, bestehend aus 95 Prozent Granulat und 5 Prozent Bitumen, wird als Fahrbahndecke verwendet. Das Gemisch wird entsprechend den Anforderungen vorbereitet und das nötige Bitumen wird in Tanks mit einer konstanten Temperatur zwischen 150 und 200 Grad gelagert, damit es nicht hart wird oder sich zersetzt.
Leider gab es damals auf dem Markt keine solarthermischen Kollektoren, die imstand gewesen wären, Temperaturen zwischen 150 und 200 Grad zu erreichen. Was die Verantwortlichen von Colas Suisse aber nicht entmutigt hat. «Ein Pilotprojekt entsteht nicht zufällig», erklärt Maranzana. «Es ist das Ergebnis der strategischen Ausrichtung der Leitung und der zielbewussten Politik unseres Umweltdirektors Pierre Bornet.» Für das Vorhaben hat Jacobus van der Maas von der Energiefachstelle des Kantons Genf in der Folge die Verantwortlichen der Strassenbaufirma mit dem Forscher Cristoforo Benvenuti zusammengebracht. Benvenuti hat am CERN eine neue Technologie für solarthermische Kollektoren patentiert, dank welcher Temperaturen von über 300 Grad erreicht werden können.
«Zwischen 2005 und 2009 haben wir ihn nicht aus den Augen gelassen», erwähnt Maranzana scherzhaft. «Man muss wissen, dass die Priorität der SRB Energy – einer eigens für die Nutzung des CERN-Patents gegründeten Gesellschaft – eigentlich eher auf der Entwicklung von Anlagen für die Stromerzeugung lag.» Die Hartnäckigkeit hat sich bezahlt gemacht, nach vier Jahren Laborarbeit konnte die weltweit erste Pilotanlage dieses Typs realisiert werden.
Dass Colas Genf die solarthermische Anlage verwirklichen konnte, ist auch diversen Partnern zu verdanken, darunter dem Bundesamt für Energie (BFE), der Energiefachstelle des Kantons Genf, der Industriebetriebe Genf (SIG) sowie dem Genfer Ausschuss für neue erneuerbare Energien (Comité genevois pour les nouvelles énergies renouvelables COGENER). «Der Return on Investment dauert im Moment noch zu lang», räumt Guzzo ein. «Ohne unsere Partner hätten wir die Anlage nicht realisieren können. Wir brauchen noch 40 Prozent Subventionen, bis wir rentabel sind.» Verschiedene Elemente sprechen indessen dafür, dass die Anlage in den nächsten Jahren rentabel sein wird. «In Zukunft», sagt Maranzana, «möchten wir auch Nutzen ziehen aus den Kollektoren mit Temperaturen zwischen 80 und 150 Grad, zum Beispiel, um unsere Gebäude zu heizen. Im Moment nutzen wir nur die Wärme um 180 Grad, bei einem mittleren Wirkungsgrad von 30 Prozent. Auch dürfte mit der Zeit der Preis der Kollektoren sinken. Und schliesslich könnte eines der Merkmale von Bitumen – nämlich seine grosse thermische Trägheit – diesem Typ Anlage eine zweite, ebenso überraschendewie wirtschaftlich interessante Rolle angedeihen lassen: die Funktion als Energiespeicher.»
Nach aktuellen Schätzungen sollte die Anlage in Genf rund 26 Megawattstunden Wärme pro Jahr produzieren. Dadurch könnte Colas Genf seine CO2-Emissionen jährlich um ungefähr sechs Tonnen verringern, was einer Einsparung von 2200 Litern Heizöl entspricht. Das Ausbaupotenzial am Standort Genf oder an anderen Standorten von Colas ist beträchtlich. Abgesehen von allen wirtschaftlichen oder ökologischen Überlegungen betonen die beiden Verantwortlichen von Colas, dass sie viel gelernt und von der Zusammenarbeit während der Entwicklung der Pilotanlage profitiert hätten. «Der Austausch zwischen den Fachleuten aus Forschung, Wirtschaft, Strassenbau und Verwaltung war sehr konstruktiv», sagt Marc Maranzana. «Von der Lancierung der Idee im Jahr 2005 bis zur Fertigstellung 2010 hat das Projekt viel Zeit in Anspruch genommen.» Und Adriano Guzzo schliesst: «Es fehlt noch am Willen, mehr daraus zu machen. Ich bin aber überzeugt, dass sich das bei einem Anstieg des Ölpreises schnell ändern wird.»
Quelle: Energia Nr. 6 / 2010 - hier ist der ganze Newsletter als pdf-Datei herunterzuladen
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