Eine Studie des deutschen Unternehmensberaters Baker Tilly Roelfs untersuchte die Potenziale und Risiken genossenschaftlicher Bürgerbeteiligungen im Energiebereich. Sie kommt zu einem Fazit, das in übertragenem Sinn durchaus für die Schweiz gelten kann.
Genossenschaftliche Bürgerbeteiligungen
können zu einem wesentlichen Hebel für den Umbau der deutschen
Energielandschaft avancieren. Unter bestimmten Voraussetzungen tragen
Genossenschaftsmodelle sowohl zur Finanzierung der Energiewende als auch
zur Auflösung bestehender Konfliktfelder bei. Das geht aus einer
aktuellen Studie hervor, die das Beratungsunternehmen Baker Tilly Roelfs
gemeinsam mit fünf regionalen Energieversorgern, der
Beteiligungsgesellschaft Stadt Solingen mbH und dem Institut für
Genossenschaftswesen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
erstellt hat.
Danach sind die wesentlichen Erfolgsfaktoren die
Berücksichtigung individueller Interessenlagen vor Ort, vorausschauende
Strukturen sowie eine transparente und offene Kommunikation. So können
Genossenschaftsmodelle gerade vor dem Hintergrund sich verändernder
regulatorischer und politischer Rahmenbedingungen nachhaltig dazu
beitragen, Bürger, Energieversorger und Kommunen wieder näher
zusammenzubringen, um Projekte für erneuerbare Energie gemeinsam zu
finanzieren und erfolgreich umzusetzen.
Während über das Ziel der Energiewende deutschlandweit große
Einigkeit herrscht, ist der Weg dorthin noch mit einer Vielzahl von
Konflikten geebnet – vor allem auch im Hinblick auf die Finanzierung
eines ökologisch nachhaltigen Energiesystems. Hinzu kommen
beispielsweise steigende Strompreise, regulatorische Barrieren,
Einschnitte in das Landschaftsbild und weitreichende Auswirkungen auf
Fauna und Flora. „Genossenschaftliche Bürgerbeteiligungen an Stadtwerken
stellen eine neue attraktive Möglichkeit dar, die Energiewende
gemeinsam anzugehen und die Interessen aller Parteien zu vereinen“,
fasst Alexandra Sausmekat, Studienautorin und Partner bei Baker Tilly
Roelfs, das zentrale Ergebnis der Studie zusammen. So sind in diesem
Jahr umfangreiche relevante steuerliche und rechtliche Neuerungen in
Kraft getreten, wobei Genossenschaftsmodelle im Zeichen der Energiewende
eine spürbare Renaissance erfahren haben.
Waren es zunächst einzelne Projekte im Bereich der Erneuerbaren
Energien, die Energieversorger und Bürger gemeinsam aufgesetzt haben,
diskutieren zurzeit immer mehr Kommunen und Genossenschaften über
gemeinsame Beteiligungsmodelle an kommunalen Energieversorgern. „Erste
Praxisbeispiele in Jena und Wolfhagen zeigen, dass dies kein
theoretisches Konstrukt, sondern ein Erfolg versprechendes
Finanzierungs- und Geschäftsmodell für alle Beteiligten sein kann“, so
Sausmekat: „Wie solche Genossenschaftsmodelle aufgesetzt werden müssen,
damit sie erfolgreich sind und so die Energiewende nachhaltig beleben
können, haben wir in unserer Studie untersucht.“
Im Fokus der Beteiligungsmodelle sollte stets die individuelle
Interessenlage vor Ort stehen. Die Übertragung bestehender Modelle ist
in der Regel nicht eins zu eins umsetzbar, da die Strukturen und
Betätigungsfelder der Stadtwerke sehr verschieden sind. Theoretische
Basismodelle müssen daher immer flexibel auf die jeweiligen
Gegebenheiten vor Ort angepasst werden. Neue Herausforderungen
entstehen, wenn sich – wie in jüngster Vergangenheit geschehen – die
regulatorischen Rahmenbedingungen ändern. Dabei muss insbesondere den
Änderungen im Bereich der Streubesitzdividende und das
Kapitalanlagegesetzbuch entsprochen werden. Das Bewusstsein für die Herausforderung Genossenschaftsmodell sollte
bei allen Beteiligten rechtzeitig geschärft werden und das Projekt von
Anfang an sehr genau strukturiert werden. Implementierung und Umsetzung
stellen hohe Anforderungen vor allem auch an die Kommunikation. Bei
allen Beteiligten sollte volle Transparenz stets gewährleisten sein.
„Zusammenfassend
kann man sagen, dass bei der Konstruktion und der Kommunikation solcher
Modelle sowohl lokal unterschiedliche Bürgerinteressen als auch
betriebswirtschaftliche, politische, rechtliche und steuerliche Aspekte
zu beachten sind, um den Mehrwert für Bürger, Energieversorger und
Kommunen zu maximieren“, so Sausmekat.
„Genossenschaften bieten Bürgern die Chance, selbst Gesellschafter
oder gar Initiator von Projekten im Bereich der Erneuerbaren Energien zu
werden. Bürger gewinnen an Einfluss, was sich unter anderem in einer
stärkeren Kundenorientierung der Stadtwerke niederschlägt. Zudem
erbringt die Genossenschaft Leistungen für ihre Mitglieder und stellt
diese langfristig günstig – beispielsweise über Sondertarife – zur
Verfügung“, erklärt Eric Christian Meyer, Geschäftsführer des Instituts
für Genossenschaftswesen der Universität Münster: „Als positiver
Nebeneffekt steigt zudem die Akzeptanz von Projekten, wenn die Bürger
sich selbst engagieren und die Projekte mit initiieren.“
„Für den Erfolg von Bürgergenossenschaften sind politische
Rahmenbedingungen erforderlich, die es der Idee einer echten
unternehmerischen Bürgerbeteiligung gestatten, ihr Poten-zial zu
entfalten. Das gilt für alle politischen Entscheidungsebenen vom
Stadtrat über die Parlamente in Berlin bis zum Europaparlament und
betrifft sowohl das politische Selbstverständnis der Entscheidungsträger
als auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen“, sagt Ralf W. Barkey,
Vorstandsvorsitzender des Rheinisch-Westfälischen Genossenschaftsverband
e. V.: „Es ist an der Zeit, unternehmerische Bürgerbeteiligung in Form
von Genossenschaften zu fördern. Wenn wir von Bürgerbeteiligung reden,
sollten wir auch Bürgerbeteiligung ermöglichen, nicht nur politisch,
sondern auch konkret wirtschaftlich. Das heißt loslassen und
Verantwortung übergeben. Dafür sind Genossenschaften ein sehr geeignetes
Instrument.“
Neben Baker Tilly Roelfs, dem Rheinisch-Westfälischen
Genossenschaftsverband, dem Institut für Genossenschaftswesen der
Westfälische Wilhelms-Universität Münster und der
Beteiligungsgesellschaft Stadt Solingen mbH waren die regionalen
Energieversorger Troisdorf, Solingen, Emsdetten, Gronau und Iserlohn an
der Ausarbeitung der Studie beteiligt.
Zum Download der Studien-Zusammenfassung...
Quelle: Baker Tilly Roelfs
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