Die Atomwirtschaft versucht derzeit, eine Renaissance der vielerorts ungeliebten Energiequelle herbei zu reden. Wo es aber zur Sache geht, häufen sich die Probleme. Hinzu kommt eine immer konkurrenzfähigere Solarenergie – deren Kosten gemäss einer sensationellen Studie aus den USA bereits unter jenen für Atomstrom liegt.
Die renommierte französische Tageszeitung Le Figaro weist in aktuellen Artikeln nicht nur auf die bereits bekannten Schwierigkeiten auf dem Bauplatz in Flamanville hin. Dort soll ja ein Druckwasserreaktor entstehen des Typs EPR, der auch für den Ersatz von Schweizer Anlagen im Vordergrund steht. Zeitliche Verzögerungen und Kostenüberschreitungen sorgen allerdings für Aufsehen (ähnlich wie beim baugleichen Projekt Olkiluoto in Finnland – siehe Solarmedia vom 6. September 2009). Le Figaro weist nun auf zusätzliche Schwierigkeiten hin. So sind die Hochspannungsleitungen, die zur Verteilung des Flamanville-Baus neu zu bauen sind, höchst umstritten und noch längst nicht realisiert (auch gemäss Le Monde vom 29. Juni 2010). Was den Figaro bemerkenswerter Weise schliessen lässt, der Druckwasserreaktor sei möglicherweise «zu komplex, zu teuer und ganz einfach nicht exportfähig» (Ausgabe vom 6. Juli 2010).
Atomkraftwerk Biblis: Bis 2009 kostete Müllbeseitigung 5,2 Milliarden Euro (Bild ddp)
Ungemach auch in Grossbritannien: Die deutsche RWE liess verlauten, ohne Subventionen sei im Atomsektor in Grossbritannien nichts zu bauen (siehe dazu das Nachhaltigkeitsportal Klimaretter). In Großbritannien möchte demnach der Essener Energieriese einen neuen Reaktor bauen – zusammen mit Eon. Noch sind die Pläne in weiter Ferne, doch RWE wollte nun anscheinend schon mal wissen, wie es um die Wirtschaftlichkeit bestellt ist. Daher hat das Unternehmen eine Studie in Auftrag gegeben, bei der mehrere Stromkonzerne, Rating-Agenturen und Politiker befragt wurden. Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass der Bau neuer Atomkraftwerke momentan unrentabel sei.
Für Aufsehen sorgt sodann die Forderung, es müsse ein "einheitlicher Markt" geschaffen werden für sämtliche Energieformen mit geringem Treibhausgas-Ausstoß. Konkret heißt das: Atomkraft soll vom Staat genauso gefördert werden wie erneuerbare Energien. Die Studie empfiehlt eine Einspeisevergütung für Niedrig-CO2-Strom. Ähnlich wie beim deutschen Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) (das Eon und RWE stets heftig bekämpft haben) soll es einen festen Grundbetrag geben - allerdings soll sich ein zusätzlicher Aufschlag daran bemessen, wie viele Investitionen nötig sind, um die Klimaziele zu erreichen.
Das Portal Klimaretter hat bei Umweltorganisationen nachgefragt, ob das rechtfertigte, Atomkraft gleichermaßen zu fördern wie erneuerbare Energien. Nicht unerwartet stösst der RWE-Vorschlag auf scharfe Kritik. Man könne die Technologien "in den Umweltauswirkungen nicht miteinander vergleichen", sagt Heinz Smital von Greenpeace. Ein Windrad beispielsweise könne man problemlos wieder abbauen, Reaktoren hinterließen Müll für Millionen von Jahren. Daher verdienten Atomkraftwerke keine Förderung. Außerdem seien neue Reaktoren niemals rentabel, wenn die Investoren die Risiken tragen müssten. "Erst wenn keine volle Haftpflichtversicherung für Schäden gezahlt werden muss, erst wenn jemand anders den Atommüll nimmt - erst dann kann Atomkraft sich rechnen."
Ins Bild einer Atomwirtschaft mit höchst unsicheren Aussichten passen weitere aktuelle Meldungen. So werden die Kosten für Aufräumarbeiten in Deutschland mit weit über 10 Milliarden Euro wesentlich höher ausfallen als bislang angenommen (siehe auch Bild und Spiegel vom 26. Juli 2010). Die Ratinagentur Standard & Poors hat die französische Areva (die die erwähnten Druckwasserreaktoren baut) heruntergestuft wegen der Bauverzögerung in Finnland (Le Figaro vom 28. Juni 2010).
Abgerundet wird das Bild von einer Studie zur Kostenentwicklung von Atomstrom einerseits, Solarstrom andererseits. Die New York Times meldet in der Ausgabe vom 26. Juli 2010, dass sich der vermeintliche Kostenvorteil der atomaren Energieerzeugung langsam auflöse. Die direkte Umwandlung von Sonnenlicht in Strom (Photovoltaik oder kurz PV) sei in den vergangenen zwei Jahren gemäss John O. Blackburn, Ökonomieprofessor an der Duke University in North Carolina, nämlich stark gesunken. Wohingegen der Preis für Atomstrom wegen den immer höheren Anlagekosten stetig steige – bei korrekter Berechnung den Solarstrompreis bereits übersteige. Ein «historic crossover» habe bereits stattgefunden. Dieser Kreuzungspunkt liege bei 16 US-Cents pro Kilowatt-Stunde (kWh). Die Autoren der Studie unterstellen dabei einen AKW-Preis von gegen 10 Milliarden US-$, eine Schätzung, die durch die jüngsten Preissteigerungen für die Reaktoren in Frankreich und Finnland nur bestätigt wird. Sie gestehen auch zu, dass die Berechnung der wirklichen Kosten diskutabel sei – fehlende Risikoabsicherung, Terrorgefahren und die langfristige Abfalllagerung liessen AKW-Kosten aber in jedem Fall noch höher ausfallen. Derweil die Kosten für die Solarenergie munter weiter sinken.
© Solarmedia / Diverse Quellen: siehe Links im Text
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