Montag, 19. November 2012

Die Erneuerbaren sind angekommen

Die erneuerbaren Energien sind endgültig in der Schweiz angekommen. Das markierte nicht zuletzt der erste Nationale Kongress zum Thema, der am vergangenen Freitag gegen 400 Fachleute und Interessierte im Berner Wankdorf-Stadion zusammenführte. Organisiert durch die unabhängige Agentur für Energieeffizienz und Erneuerbare Energien (AEE) zeigten VertreterInnen von Wirtschaft und Politik, dass die Energiewende eigentlich noch vor der Atomkatastrophe von Fukushima ihren Anfang nahm.

Für die Kantone sprach die Berner Regierungsrätin Barbara Egger-Jenzer (siehe Bild links) und verwies darauf, dass der Kanton Bern ein Szenarion für den Atomausstieg bereits im Jahr 2006 formuliert hatte – womit der Kanton noch vor dem Bund im Jahre darauf erstmals zumindest in einem Szenario die Möglichkeit des Aus- und eines Umstiegs skizzierte. Es sieht unter anderem vor, bis ins jahr 2035 die Wärmebedürfnisse zu 70, den Strombedarf gar zu 80 Prozent mit Erneuerbaren Energien zu decken. 


Die letzten beissen die Hunde, ist man versucht zu schreiben, wenn man an die Worte des Stadtberner Gemeinderats Reto Nause erinnert, der die bisweilen noch mangelhafte Unterstützung für den ganz konkreten Ausstieg seitens der übergeordneten Behörden von Bund und Kantonen beklagte. Wobei er Bern explizit ausnahm. Erinnert werden kann da aber an die Stadt Zürich, deren 2000-Watt-Strategie beim Kanton bislang eher misstrauisch beäugt – und schon gar nicht von einem Atomausstiegsszenario unterstützt – wird. Nause erinnerte auch daran, dass sich die Atomkraftwerke hierzulande letztlich immer noch im Besitze der Kantone befinden – die dann allerdings auch die Kosten des Ausstiegs tragen.

Das Berner Wankdorfstadion mit seiner breiten Mantelnutzung beherbergte den ersten Nationalen Kongress der Erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz. Verborgen blieb dabei, was sich auf dem Stadiondach auch befindet: eine der grössten Photovoltaikanlagen der Schweiz mit einer Leistung von mehr als einem Megawatt oder dem Potenzial, mehr als 300 Haushalte mit Solarstrom zu versorgen.




Im laufenden Jahr ist die Energiewende nun also wirklich zum breiten Thema geworden hierzulande. Auf allen Ebenen der föderalistisch aufgebauten Willensnation Schweiz sind namhafte Exponenten der Politik daran, den Erneuerbaren zum Durchbruch zu verhelfen. Zuoberst das Bundesamt für Energie, welches unter Führung von Bundesrätin Doris Leuthard einen – wenn auch noch vielseitig umstrittenen – Weg zur Wende hin zu den Erneuerbaren in der Energiestrategie 2050 aufzeigt (siehe Solarmedia vom ). Amtsdirektor Walter Steinmann wies die KongressteilnehmerInnen auf die Pfeiler dieser Strategie hin: Mehr Effizienz, vor allem mehr Erneuerbare Energien und die Deckung eines allfälligen Restbedarfs durch Stromimporte oder einzelne grosse Gaskraftwerke.

Die allzuhäufig vergessene Effizienz, also neben dem Sparen der Einsatz von Geräten und Technologien, die gleiche Leistung mit weniger Ressourcen erbringen, steht für Steinmann gar im Vordergrund. Sie ist schnell zu realisieren, bringt auch finanzielle Einsparungen und ist in erster Linie im Gebäudebereich viel versprechend. Denn der ist für 46 Prozent, also fast die Hälfte, des Gesamtenergieverbrauchs der Schweiz verantwortlich. Und bei einem Gebäudebestand von rund 1,64 Millionen Einheiten gibt es wahrlich viel Arbeit – in erster Linie für das heimische Gewerbe. Und wer industrieseitig mitzieht, wird von Abgaben wie der Kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) befreit. So will es zumindest die Energiestrategie 2050, wenn sie denn das Parlament akzeptiert und ohne ein Referendum über die Runden kommt.

In einer energiepolitischen Diskussion bekannte sich Nationalrat Bastien Girod (Bild rechts) von der Grünen Partei dazu, keine Frontalopposition gegen neue Anlagen irgendwelcher Art zu üben. Vielmehr gebe es genügend technische Lösungen bei Konflikten mit den Anliegen des Umweltschutzes – etwa Sensoren, die Windräder abschalten, wenn ein Vogelschwarm im Anflug sei. Roger Nordmann, SP-Nationalrat und Präsident des Fachverbands Swissolar (Bild links) brachte seine Vorstellungen von der Energiewende auf einen klaren Punkt – der Deckel müsse weg insbesondere für die Förderung der Photovoltaik, also der direkten Stromerzeugung durch Solarzellen.

Diese Forderung deckt sich gut mit einem Gesamtkonzept für die Schweizer Stromversorgung, das auf die Säulen Wasserkraft- und Sonnenlicht aufbaut. Nordmann zeigte zusammen mit dem Meteorologen Jan Remund von Meteotest  in einer unlängst veröffentlichten Studie, dass ein Szenario, das den Atomstrom zu 70% durch Solarenergie ersetzt, realistisch und möglich ist, ohne die Versorgungssicherheit im Winter zu gefährden, sofern die übrigen 30% durch Windkraft und Biomasse gedeckt werden. Der zusätzliche Speicherbedarf für das Winterhalbjahr bleibe moderat, da sich die Sonnenenergie und die Produktion der Laufwasserkraftwerke in der saisonalen Variabilität gut ergänzen. Im Gegensatz zur Wasserkraft ist die Produktion der Photovoltaik im Februar, März und April sehr hoch, sodass die hydroelektrische Produktionskapazität der Stauwerke auf die Wintermonate konzentriert werden kann.

Konkret könnten gemäss der Studie Mühleberg, Beznau 1 + 2 sowie Gösgen mit einer nur mässigen Steigerung des Speichervermögens (+ 15%) oder des Stromhandels mit dem Ausland (+ 20%) stillgelegt werden. Dabei würde der Anteil des Solarstroms am Gesamtverbrauch bei 19% liegen (12 TWh). Für den Ersatz von Leibstadt mit denselben Massnahmen und für die Erreichung von 18 TWh Solarstrom muss entweder der Ein- und Ausfuhrsaldo um 50% erhöht, die Speicherkapazität um 30% aufgestockt oder eine moderate Unterstützung durch fossile Energieträger mithilfe der Wärmekraftkoppelung (2.5 TWh Strom/Jahr) in Betracht gezogen werden.

Neue Links zur Energiedebatte:
-       Energiestrategie des Bundes: www.energiestrategie2050.ch
-       Praxisbeispiele für Projekte mit Erneuerbarer Energie: www.hier-ist-energie.ch
-       Studie zu Zusammenhang Ausbau Speicherkraftwerke – Photovoltaik: www.roger-nordmann.ch/articles/2012.10.21_Swissolar_Rapport_Remund-Nordmann_PV_D.pdf
-       Referatsunterlagen zum 1. Nationalen Kongress der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz: www.aee-kongress.ch/referate

© Solarmedia Text und Bild

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