Montag, 1. Dezember 2014

Energiewende Landschaft schonend

Der Ausstieg aus der Kernenergie setzt die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energie voraus. Dies kann in der Schweiz zu lokalen Konflikten mit anderen Landschaftsdienstleistungen führen. Das am 25. November 2014 an der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL in Birmensdorf durchgeführte "Forum für Wissen" zeigte jedoch, dass es in der Schweiz genügend Flächen gibt, auf denen erneuerbare Energie ohne grosse Konflikte gewonnen werden kann. 

Auf der Basis des heutigen Stromverbrauchs müssten in der Schweiz bis 2050 jährlich mehr als 20 Terawattstunden (TWh/Jahr) erneuerbare Energie erzeugt werden, um die Kernenergie abzulösen. Felix Kienast (WSL), der Tagungsleiter des "Forum für Wissen", hält dies für möglich und stützt sich auf eine nationale Konfliktanalyse der WSL, in der für verschiedene Energiequellen Potenzialkarten erstellt wurden. Diese lassen sich mit Potenzialkarten wichtiger Landschaftsleistungen überlagern, wie z.B. Tourismus und Erholung oder Biodiversität. 

Dort, wo sich beide Grafiken decken, könnte es zu Konflikten zwischen verschiedenen Nutzergruppen kommen. Mit der nationalen Konfliktkarte lässt sich also abschätzen, wo sich neue Energieprojekte konfliktarm durchsetzen liessen. "Für die lokale Objektplanung sind diese Karten allerdings zu ungenau", sagt Kienast, der mit dieser Methode aufzeigt, wo sich mit Wind- und Solarenergie sowie dem vorwiegend im Wald produzierten Energieholz etwa drei Viertel der neuen erneuerbaren Energie erzeugen liesse. Lediglich 25 Prozent müssten dann durch den Ausbau der Kleinwasserkraft sowie durch Solaranlagen auf Freiflächen, Geothermie oder Wärme aus Abwasserreinigung und Kehrrichtverbrennung gewonnen werden. Am Beispiel des Kantons Aargau zeigte Isabel Ballmer (WSL), dass die Rechnung im Hinblick auf eine erneuerbare Elektrizitätsproduktion auch auf Kantonsebene aufgehen kann.

Der Ausbau der Wasserkraftnutzung ist eine grosse Herausforderung, denn der grösste Teil des vorhanden Potenzials wird heute bereits genutzt. Zudem kann sich die Vergrösserung bestehender Stauseen nachteilig auf Landschaftsbild, Tourismus und Gewässerökologie auswirken. Christine Weber und Martin Schmid von der EAWAG gehen davon aus, dass der Ausbau der Kleinwasserkraft viele kleine, noch naturnahe Fliessgewässer ökologisch stark beeinträchtigt. Auch der Betrieb von Pumpspeicherwerken hat Nachteile, denn das gespeicherte Wasser fliesst zu unregelmässig ab. Mit künstlichen Abflussschwankungen auf den darunter liegenden Flussstrecken würde sich der Lebensraum für Fische und andere Organismen verbessern, ähnlich wie künstliche Hochwasser an der Restwasserstrecke des Spöls im Schweizer Nationalpark.

Holz deckt zwar nur gut vier Prozent des Endenergieverbrauchs in der Schweiz, hat aber gegenüber den Energiequellen Wind und Sonne einen grossen Vorteil: Es ist sowohl für die Erzeugung von Wärme, Strom und Treibstoff einsetzbar. Und Holz ist lagerfähig und kann, vereinfacht ausgedrückt, genau dann zur Energieproduktion eingesetzt werden, wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint. Gemäss Oliver Thees (WSL) liesse sich im Wald langfristig vor allem Laubholz als zusätzliches Energieholz nutzen. Würde z.B. landesweit so viel Holz eingeschlagen wie nachwächst und frühzeitig im Wald entschieden, noch mehr Stammteile energetisch statt stofflich zu verwenden, nähme die Menge an Energieholz weiter zu. "Das Schöne ist, dass die Mehrnutzung des Energieholzes für die Landschaft keine gravierenden Folgen hat", sagt Thees.
 
Zwei Umfragen von Marcel Hunziker und seinem Team (WSL und Universität Zürich) ergaben, dass Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energie die Bevölkerung kaum stören. Eine potenzielle Vergrösserung des Grimsel-Stausees wurde zwar von der Mehrzahl der Touristen als Verlust der Landschaftsqualität wahrgenommen, werde die Besucher aber nicht davon abhalten, diese Gegend wieder zu besuchen. Und eine Befragung im Goms ergab, dass Photovoltaikanlagen an Lawinenverbauungen nur eine Minderheit der Befragten störte. Hunziker erwartet, dass neue Anlagen zur Energiegewinnung vor allem dann akzeptiert werden, wenn sie als positive Symbole der Energiewende und einer nachhaltigen Ressourcennutzung gelten.

Für Guido Federer vom Bundesamt für Energie geht es bei der Erreichung der Energieziele in der Schweiz nicht alleine um die potenzielle Produktion aus erneuerbaren Energiequellen im Umfang von etwa 24,2 TWh/Jahr. Es gehe auch darum, den Gesamtenergieverbrauch zu senken und die Verteilnetze umzubauen, die den zusätzlichen Strom aus Erneuerbaren aus einer Vielzahl dezentraler Kraftwerke aufnehmen müssen. "Effizienz muss das erste Standbein für die Nutzung der Energie sein", so Federer.

Tagungsleiter Felix Kienast ist überzeugt, dass die Energiewende auch bei schonendem Umgang mit der Landschaft gelingen wird. Die hoch gesteckten Ziele wird die Schweiz seiner Meinung nach aber nur erreichen können, wenn in den kommenden Jahren ein intensiver Dialog zwischen Forschung, Politik, Verwaltung, Praxis und Bevölkerung stattfindet. Gemäss dem stellvertretenden Direktor der WSL Christoph Hegg könne und müsse die Forschung die Vor- und Nachteile einzelner Energiequellen und ihrer Auswirkungen auf Landschaft und Umwelt abwägen und Entscheidungsgrundlagen für die Umsetzung der Energiewende liefern. Das vom Bund finanzierte Forschungsprogramms „Energy Change Impact“, das WSL und EAWAG gemeinsam koordinieren, soll dazu Beiträge leisten. Das Programm arbeitet eng mit Partnern in der Umwelt- und Energieforschung im In- und Ausland sowie mit der Politik zusammen.

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