Ein Solarkraftwerk auf dem Dach war bisher vor allem für
Einfamilienhausbesitzer eine Option. Seit Januar erleichtert der
Gesetzgeber die Bildung von Eigenverbrauchsgemeinschaften (EVG). Damit
öffnen sich ganz neue Möglichkeiten für den Einsatz von Photovoltaik auf
Mehrfamilienhäusern. Und mit der Umsetzung der Mustervorschriften der
Kantone im Energiebereich (Muken) könnten EVG teilweise gar zur Pflicht
werden - ein Bericht des Kommunalmagazins.
Pioniere: Die Baugenossenschaft Mehr als Wohnen errichtete auf dem Hunziker-Areal in Zürich bereits 2015 eine gemeinschaftlich genutzte Photovoltaikanlage. |
Wenn sich mehrere Parteien eine Energiequelle teilen, bevor der überschüssige Strom ins Netz gespeist wird, spricht man in der Schweiz von einer Eigenverbrauchsgemeinschaft (EVG). Diese sind eigentlich schon seit 2014 zugelassen, wurden aber selten implementiert, weil dies sehr kompliziert war. Meist werden Photovoltaikanlagen dafür genutzt, es eignet sich aber auch ein Windkraftwerk oder eine Wärme-Kraft-Koppelungs-Anlage. «Die Umsetzbarkeit hing bisher sehr stark vom Goodwill des jeweiligen Energieversorgers ab», sagt David Stickelberger, Geschäftsleiter von Swissolar, dem Fachverband für Sonnenenergie. Per 1. 1. 2018 trat nun das totalrevidierte Energiegesetz in Kraft. Es vereinfacht die Bildung von EVG vor allem in zwei Punkten:
- Neu können EVG auch über mehr als ein Grundstück hinweg gebildet werden, sofern dabei das öffentliche Stromnetz nicht beansprucht wird.
- Die EVG verfügt gegenüber dem Netzbetreiber über einen einzigen Messpunkt.
Mit der heutigen Gesetzeslage ist das nicht mehr so: Hat sich ein Mieter für den Anschluss an die EVG entschieden, muss auch der Nachmieter mitmachen. Der bürokratische Prozess konnte also stark vereinfacht werden. «Bestehende Mieter kann man natürlich nicht zum mitmachen bei der EVG zwingen», sagt Stickelberger. «Doch die Stromrechnung wird mit einer EVG praktisch immer kleiner, es gibt also keine guten Gründe sich nicht anzuschliessen.» Nachteil für den Hauseigentümer: Er ist nun selbst dafür verantwortlich, den Eigenverbrauch des Solarstroms zu verwalten, denn der Netzbetreiber kontrolliert mit der neuen Gesetzesgrundlage nur noch einen Messpunkt. Im Normalfall macht der Eigentümer das nicht selber, sondern bezieht diese Dienstleistung vom Energieversorger, sofern dieser sie anbietet. Oder er wendet sich an spezialisierte Dienstleister wie das EVG-Zentrum.
Dass es bei kleineren Projekten für den Hausbesitzer aber durchaus möglich ist, die EVG selbst zu verwalten, zeigt ein Beispiel aus Liestal BL: Bereits 2014 hat Eigentümer Andreas Appenzeller im Rahmen eines Pilotprojekts eine kleine Dünnschicht-Solaranlage mit einer Stromproduktion von 4300 Kilowattstunden (kWh) im Jahr auf seinem Dreifamilienhaus errichten lassen. Nun kümmert er sich selbst um die Abrechnung. Der Energieversorger schickt Appenzeller nur noch eine Rechnung für den Verbrauch der gesamten Liegenschaft, der an einem bidirektionalen, zentralen Zähler erfasst wird. Basierend auf den Verbrauchsdaten der vier individuellen Zähler (3 × Wohnung, 1 × Allgemeinstrom) erstellt Appenzeller die Stromrechnung an seine Mieter selber und rechnet sie über die Nebenkosten ab.
Wann lohnt es sich, über eine EVG nachzudenken? «Das ist sehr
individuell», sagt Cyrill Burch. «Grundsätzlich kann man sagen: Je höher
der Anteil an produziertem Strom, den man im Rahmen der EVG auch selbst
verbraucht, desto profitabler ist die Anlage.» Denn mit dem Wechsel von
der kostendeckenden zur kostenorientierten Einspeisevergütung (KEV) per
1. 1. 2018 ist das Einspeisen des selbst produzierten Solarstroms eher
eine Minimierung des Verlustes als eine gewinnbringende Tätigkeit. Handelt es sich um eine Grossanlage mit einem Jahresverbrauch von
über 100 000 kWh ändern sich die Rahmenbedingungen erneut: Dann darf man
nämlich den nicht selbst produzierten Strom auf dem freien Markt
beschaffen und spart auch im Einkauf Geld. Und das macht trotz eigenem
Kraftwerk auf dem Dach in den allermeisten Fällen immer noch den
Löwenanteil des konsumierten Stroms aus: «Je nach Fall liegt der Anteil
an selbst produziertem Strom zwischen 5 und 50 Prozent, meist um die 30
Prozent.»
Hinzu kommt: Im Normalfall sind Kleinanlagen auf
Bestandesliegenschaften, wie etwa diejenige von Andreas Appenzeller in
Liestal, nicht sehr lukrativ. «Im Bestand lohnt es sich meist erst ab
etwa zehn beteiligten Mietern, je nach den Rahmenbedingungen des
Energieversorgers», sagt Burch. Einen Einfluss auf die Rentabilität haben natürlich auch bauliche
Faktoren: Wie ist das Dach gebaut? Ist es ein Giebel- oder ein
Flachdach? In welche Richtung ist es exponiert? «Das Errichten einer EVG
ist eine komplexe Angelegenheit, für die der Bauherr einen
professionellen Dienstleister braucht», so Burch.
Anders präsentiert sich die Situation bei Mehrfamilienhaus-Neubauten.
Hier dürften EVG in nicht allzu langer Zeit zum Standard werden. Die
Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (Muken) machen die
Eigenstromproduktion für Neubauten grundsätzlich zur Pflicht. Gemäss den
Muken ist eine Elektrizitätserzeugungsanlage von mindestens 10 Watt pro
Quadratmeter Energiebezugsfläche im, auf oder am Gebäude zu
installieren. Doch die Muken werden von Kanton zu Kanton unterschiedlich umgesetzt
und sind in vielen Ständen noch im Gesetzgebungsprozess. Einzig die
Kantone Obwalden und Basel-Stadt haben die Muken-Bestimmungen zur
Eigenstromerzeugung bisher unverändert übernommen. In der Waadt und in
Freiburg werden alternative Regelungen eingeführt.
Wer seinen Neubau künftig nach Minergiestandard zertifizieren lassen
will, kommt um EVG aber kaum mehr herum. Denn für alle
Minergie-Neubauten gilt unterdessen die Pflicht zur Installation einer
Anlage zur Eigenstromerzeugung, «beispielsweise durch
Photovoltaikanlagen, Wärme-Kraft-Koppelungs-Anlagen oder
Windkraftanlagen», wie dem «Produktreglement zu den
Minergie-Gebäudestandards» zu entnehmen ist. Egal welche der drei
Optionen man wählt: Eine EVG ist bei Mehrfamilienhäusern also
Voraussetzung für die Zertifizierung. Für den Laien ist es angesichts der Komplexität von EVG schwierig,
den Überblick zu behalten. Die sich ständig ändernde Gesetzeslage macht
das Unterfangen gar nahezu unmöglich. «Umso schöner ist es, dass sich
alle relevanten Verbände und das Bundesamt für Energie zusammengetan
haben, um einen Leitfaden zu EVG zu verfassen», sagt Burch. Dieser wurde an der nationalen Photovoltaik-Tagung im April in Bern der Öffentlichkeit vorgestellt.
Besonders gefordert sind für Burch nun die Baubranche und die lokalen Energieversorger: «Erstere muss verstehen, dass man EVG künftig bei jedem grösseren Bauprojekt prüfen sollte. Letztere müssen bereit sein und günstige Rahmenbedingungen für EVG schaffen.»
Besonders gefordert sind für Burch nun die Baubranche und die lokalen Energieversorger: «Erstere muss verstehen, dass man EVG künftig bei jedem grösseren Bauprojekt prüfen sollte. Letztere müssen bereit sein und günstige Rahmenbedingungen für EVG schaffen.»
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