Um die schädliche und menschengemachte Erderwärmung einzudämmen, müssen wir die klimarelevanten Emissionen möglichst rasch senken und die unvermeidbaren Treibhausgase mit sogenannten negativen Emissionen kompensieren. Die Wissenschaft ist sich einig und die Politik hat entsprechend Ziele gesetzt: So soll die Schweiz gemäss Pariser Klimaabkommen bis 2050 ihre Treibhausgasemissionen auf netto null absenken.
Der weitaus grösste Anteil dieser Emissionen entsteht in der Schweiz durch das Verbrennen von Erdöl und Erdgas im Gebäudebereich und durch den Verbrauch von Benzin und Diesel im Verkehr. Hier sollten wir also prioritär ansetzen. Die wichtigsten technischen Lösungen sind bekannt und erprobt: Ersatz von fossilen Heizungen durch Wärmepumpen und Wärmenetze und die Elektrifizierung des Verkehrs, wo immer dies möglich ist.
Die grosse Frage ist, ob diese Massnahmen technisch und kostenmässig so umsetzbar sind, dass wir bis 2050 von einer nachhaltigen, zuverlässigen und bezahlbaren Energieversorgung profitieren können. An der ETH Zürich haben sich 15 Energieexpertinnen und -experten zusammengesetzt und die Versorgungssicherheit in einer Netto-Null-Energiezukunft für die Schweiz anhand von wissenschaftlichen Erkenntnissen analysiert.
Ein gangbarer Weg – aber kein Spaziergang
In unserem Bericht kommen wir klar zum Schluss, dass eine fossilfreie Energieversorgung für die Schweiz technisch realisierbar ist, und zwar mit vertretbaren, je nach Rechnung sogar negativen Kosten – sofern die Schweiz die erneuerbare Stromproduktion rasch ausbaut und ein effizienter Stromhandel mit der EU weiter möglich ist. Die Elektrifizierung von Heizen und Verkehr kann und muss dabei parallel zum Zubau der erneuerbaren Stromquellen geschehen.
Trotzdem ist die Umsetzung herausfordernd: Der Stromverbrauch wird über die Jahre auf Grund der Elektrifizierung von Gebäude- und Verkehrssektor deutlich ansteigen – von den heute rund 60 TWh auf wohl über 80 TWh. Wichtig zu beachten ist dabei jedoch, dass durch den Effizienzgewinn der Gesamtenergiebedarf massiv abnimmt. Das verringert insbesondere die Auslandsabhängigkeit bei den fossilen Energieträgern.
«Wichtig zu wissen ist, dass selbst bei einem Status Quo des Energiesystems in den nächsten Jahrzehnten ohnehin beträchtliche Investitionen notwendig werden.»Gabriela Hug
Ausserdem gilt es, den Strom aus den heute bestehenden Kernkraftwerken zu ersetzen. Eine Verlängerung der Laufzeit könnte hier rein technisch helfen. Dennoch ist klar: Es braucht massive Investitionen in die inländische Stromproduktion, insbesondere bei der Photovoltaik auf Gebäuden und idealerweise auch im alpinen Raum, sowie bei der Wasserkraft, sofern dies möglich ist. Auch zusätzliche Windkapazitäten würden vor allem im Winter helfen, da im Winter die Windproduktion höher ist als im Sommer. Wichtig zu wissen ist, dass selbst bei einem Status Quo des Energiesystems in den nächsten Jahrzehnten ohnehin beträchtliche Investitionen notwendig werden.
Stromhandel bleibt unabdingbar
Beim Landschaftsschutz und bei der Biodiversität sind in der Schweiz nun sinnvolle Kompromisse gefragt: Nicht alle Dächer müssen mit Solaranlagen gedeckt, nicht alle möglichen Windanlagen gebaut werden, aber es braucht einen Zubau an Kapazitäten, idealerweise nach gesellschaftlichen Abwägungen und auf der Basis von Erfahrungen aus Pilotanlagen. Auch eine Reduktion des Endverbrauchs ist wichtig und sinnvoll. Sei dies durch bessere Isolation und intelligentere Ausnutzung im Gebäudebereich oder durch ein effizienteres Verkehrsmanagement und nachhaltigere Mobilitätsformen. Politik und Gesellschaft müssen diese Optionen diskutieren, damit die beschlossenen Lösungen schnell umgesetzt werden.
Noch gibt es ungelöste Probleme. Nicht alle Anwendungen lassen sich sinnvoll elektrifizieren etwa der Langstrecken-Schwertransport oder der Flugverkehr, wo wahrscheinlich synthetische Brenn- und Treibstoffe nötig werden. Diese muss die Schweiz wohl in Zukunft grösstenteils importieren.
Dazu kommt, dass die Saisonalität der Stromproduktion zu berücksichtigen und auszugleichen ist. Dies wird machbar durch saisonale Speicherung, etwa in Form von Wasser in Stauseen, Wärme (wie es auf dem ETH-Campus auf dem Hönggerberg mit einem externe SeiteAnergienetz schon heute praktiziert wird) oder chemischen Energieträgern (zum Beispiel Wasserstoff oder Biomethan), und durch einen effizienten Stromhandel mit dem umliegenden Ausland. Dies war in den vergangenen Jahrzehnten bereits der Fall.
Stromhandel ist insbesondere aufgrund der Synergien sinnvoll: In Europa werden in grossem Stil Windanlagen zugebaut, die insbesondere im Winter Strom produzieren – die Schweiz generiert mit Wasserkraft und Photovoltaik vor allem im Sommer viel Strom. Eine wichtige Rolle wird die Verfügbarkeit von Daten zur Produktion und zur Nutzung spielen, um intelligente Lösungen im Netz zu ermöglichen und dieses zu entlasten.
Keine Angst vor Veränderungen
In der Schweiz haben wir alle Voraussetzungen, um den Wandel hin zu einer nachhaltigen, sicheren und bezahlbaren Energieversorgung zu realisieren: Eine sehr gut ausgebaute Infrastruktur, Kapital, führende Hochschulen, Handwerkstradition. Schlussendlich braucht es jetzt den gesellschaftlichen und politischen Willen, diesen Wandel umzusetzen.
Obwohl sich die Ressourcen der verschiedenen Länder unterscheiden, sind die Herausforderungen weltweit oft ähnlich. Es bietet sich der Schweiz die einmalige Chance, ihre Innovationskraft nicht nur für die Energiewende der Schweiz zu nutzen, sondern künftig Technologien, Expertise und Erfahrung auch europa- und weltweit zu exportieren.
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