Der neue Statusreport Atomwirtschaft weist eine Abnahme der Zahl produktiver AKW’s aus. Und die Bauplätze sind von chaotischen Verhältnissen gekennzeichnet.
Schlechte Tage für die Atomwirtschaft, obwohl sie seit Monaten versucht, eine Renaissance ihrer Branche zu beschwören. Zuerst wies das deutsche Politmagazin Der Spiegel auf die anhaltenden massiven zeitlichen Verzögerungen und Kostenüberschreitungen hin, die beim Bau der finnischen Anlage Olkiluoto entstanden sind: Finnlands neuer Reaktor in Olkiluoto zeige, welche Probleme die Renaissance des Atomstroms bereitet. Auftraggeber und Herstellerfirmen sind heillos zerstritten, sie kämpfen vor einem Schiedsgericht um Milliarden. Die Kosten explodieren, die Fertigstellung verzögert sich um Jahre. Vor allem aber werfen Kritiker dem Konsortium vor, gefährlich zu pfuschen. Beton sei porös, Stahl sei rissig, und manche Konstruktionsprinzipien seien so gewagt, dass es die Experten von der finnischen Atomaufsicht schaudern lasse (siehe auch Solarmedia vom 6. September 2009).
Auch die Schweizer Atomwirtschaft plant drei neue AKW vom Typ der finnischen Anlage. Doch der Weg ist so weit, dass eine Aufgabe der Pläne wie einst in Kaiseraugst wahrscheinlicher scheint. Im Bild von Guntram Rehsche der Kühlturm von Gösgen (AG).
Nach außen hin bemühen sich die finnische Betreibergesellschaft TVO und Anlagenbauer Areva weiterhin, alles im besten Licht erscheinen zu lassen. Im Verwaltungsgebäude zählt TVO-Projektmanager Jouni Silvennoinen einen Superlativ nach dem anderen auf: Hier in Olkiluoto am Bottnischen Meerbusen wird der erste Atomreaktor der dritten Generation gebaut, der Europäische Druckwasser-Reaktor, kurz EPR. Der leistungsstärkste Meiler der Welt könnte eine Millionenstadt komplett mit Strom versorgen.
Die Realität sieht anders aus: Ursprünglich hätte das Kraftwerk schon in diesem Frühjahr ans Netz gehen sollen. Doch nun soll es erst 2012 so weit sein - vielleicht. Ob es klappt, "hängt vom Verhalten meiner Kunden ab", sagt Areva-Manager Mouroux spitz. Damit meint er TVO. Außerdem wird der Bau mindestens 2,3 Milliarden Euro teurer als geplant. Die Rückstellungen für den erwarteten Verlust fressen fast den gesamten Konzerngewinn von Areva auf. Auch Siemens musste bereits dreistellige Millionenbeträge zurücklegen.
Mehr noch als auf Neubauten setzen die Atommanager in den Industrieländern ohnehin auf eine Art Billig-Renaissance: Ihre Uraltkraftwerke aus einer Zeit, in der VW in Deutschland noch den Käfer baute, sollen einfach weit über ihre ursprünglich geplante Lebensdauer hinaus Strom produzieren. Selbst im atomkritischen Deutschland will die künftige schwarz-gelbe Regierung der Atomindustrie längere Laufzeiten ermöglichen. Modernisierung statt Neubau - ist das die neue Strategie, die auf eine Renaissance durch die Hintertür hinausläuft? Zumindest zeigt das Chaos um den Olkiluoto-Reaktor, dass die Branche gar nicht ohne weiteres in der Lage ist, in der westlichen Welt günstig und sicher genug neue Kraftwerke zu bauen. Und Energieversorger können solche Mammutprojekte mit ihren gewaltigen Finanzrisiken nicht mehr stemmen - das geht nur, wenn der Staat einspringt.
Die Süddeutsche Zeitung schrieb derweil: In Finnland wird ein neuer Reaktor gebaut, in Frankreich auch. Alles ist vorbereitet für die große Renaissance der Atomkraft. Theoretisch - denn faktisch wird die Rolle der Reaktoren in den nächsten Jahren schrumpfen. Das jedenfalls ist das Ergebnis einer Studie des Schweizer Prognos-Instituts, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Im Auftrag des Bundesumweltministeriums hatten die Schweizer die internationalen Neubaupläne überprüft - und sehen nur für einen Bruchteil der avisierten Vorhaben echte Realisierungschancen. "Wir erwarten bis 2030 keine Renaissance der Kernenergienutzung", heißt es in der Studie. "Vielmehr werden die altersbedingten Abschaltungen dazu führen, dass die Zahl der Reaktoren, die installierte Leistung und die Stromerzeugung in Kernkraftwerken deutlich zurückgeht."
Und schliesslich zeigt der Welt-Statusreport Atomindustrie 2009, dass die Atomtechnologie keine Zukunft hat. Im Gegenteil, sie befindet sich im globalen Abwärtstrend, denn sie rentiert nicht. Für die Schweizerische Energie-Stiftung SES ist klar: Lieber heute in erneuerbare Energien investieren, als das Geld in zukünftige Finanzruinen zu investieren. Der Welt-Statusbericht Atomindustrie 2009 zeigt einen detaillierten Überblick über die Wirtschaftlichkeit von Atomkraftwerken: 435 Reaktoren sind weltweit in Betrieb (Stand 1.8.09), das sind neun weniger als 2002. Im Bau befinden sich gemäss Internationaler Atomenergie-Organisation IAEO 52 Reaktoren. Die Hälfte dieser Projekte verzeichnen erhebliche Verzögerungen und ein Viertel ist seit über 20 Jahren im Bau. 2008 war das erste Jahr, in dem kein neues Atomkraftwerk in Betrieb genommen wurde. Dieser Abbau liegt auf der Hand. Die Atomkraftwerke produzieren weltweit zu wenig Strom – für zuviel Geld: Mit der gefährlichen Atomkraft werden nur zwei Prozent der benötigten Endenergie produziert – Tendenz stark sinkend. Zudem ist die Atomenergie viel zu teuer, so der Report. Die Kosten (ohne Finanzierungskosten) haben sich von 2´000 auf 4´000 Dollar pro installiertem Kilowatt verdoppelt.
© Solarmedia / Quellen: Spiegel, Süddeutsche, EE-News
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