Der Anteil der Erneuerbaren Energien (EE) am Stromverbrauch steigt auf fast 43 Prozent. Die Klimaschutzerfolge im Stromsektor werden von steigenden Treibhausgasemissionen bei Gebäuden und im Verkehr geschmälert. Parallel steigt das öffentliche Interesse am Klimaschutz: Seit Mai 2019 ist es in den Augen der Bevölkerung konstant das drängendste politische Thema. Das zeigt die Jahresauswertung 2019 von Agora Energiewende.
Wind- und Solaranlagen verdrängen in Deutschland Kohlestrom und helfen markant, die Klimaziele zu erreichen. |
Hauptursache des Emissionsrückgangs im Stromsystem sind die gestiegenen Preise für CO2-Zertifikate
im EU-Emissionshandel. Sie führten in Verbindung mit der gestiegenen
Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien und einem gesunkenen
Stromverbrauch dazu, dass fossile Kraftwerke ihre Stromproduktion an
vielen Stunden des Jahres 2019 deutlich reduzierten, weil diese nicht
mehr wettbewerbsfähig war. Die Stromerzeugung von Steinkohlekraftwerken
brach deshalb um 31 Prozent ein, die von Braunkohlekraftwerken um 22
Prozent. Davon profitierten auch Gaskraftwerke, die weniger CO2-Zertifikate für ihre Stromerzeugung benötigen; sie erhöhten ihren Stromabsatz um 11 Prozent.
Anders als im Stromsystem nahmen die CO2-Emissionen
von Gebäuden und dem Verkehrssystem sogar zu: Dort wurden mehr Erdgas,
Heizöl, Benzin und Diesel als im Vorjahr verbraucht. Dadurch wurden die
Emissionsminderungen im Stromsystem zum Teil zunichte gemacht. Im
Verkehr führte der steigende Anteil schwerer Fahrzeuge mit
großen Verbrennungsmotoren, wie SUVs, zum Anstieg der Emissionen.
Die
Ursache für das Wachstum bei den Erneuerbaren Energien liegt
hauptsächlich im Zubau von Photovoltaikanlagen sowie einem guten
Windjahr. „Dennoch startet die Energiewende mit einer schweren Hypothek
in die 2020er-Jahre“, sagt Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora
Energiewende. „Denn der Ausbau bei der Windenergie ist in den letzten
zwei Jahren um über 80 Prozent eingebrochen und somit fast zum Erliegen
gekommen. Weil zudem im Jahr 2019 die Ausschreibungen für neue
Windkraftanlagen nicht voll ausgeschöpft wurden, werden wir auch in den
nächsten Jahren keine beeindruckenden Zubauzahlen bei der Windenergie
sehen. Es ist an der Bundesregierung, jetzt rasch die Rahmenbedingungen
so zu ändern, dass die Windkraft wieder vorankommt. Sie ist das
Arbeitspferd der Energiewende, ohne Windkraft werden wir weder den
Kohleausstieg noch die Klimaschutzziele erreichen.“
Die
guten Zahlen für die Energiewende im Stromsektor werden durch das
Fehlen weiterer Ambitionen in der Energie- und Klimapolitik insbesondere
im Wärme- und Verkehrssektor allerdings deutlich getrübt. „Es besteht
die Gefahr, dass – nach dem Rückgang der Emissionen in den vergangenen
beiden Jahren – im Zeitraum 2020 bis 2022 – wieder ein Anstieg folgt“,
warnt Graichen. „Wir müssen mehr Erneuerbare Energien zubauen, um den
Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 auszugleichen und auch genügend
Strom für Elektroautos und Wärmepumpen zu erzeugen.“ Dies entspricht
auch den Erwartungen der Bevölkerung: So zeigt die repräsentative
Langzeituntersuchung „Politbarometer“ der Forschungsgruppe Wahlen, dass
die Wählerinnen und Wähler das Thema „Klima/Energiewende“ seit Mai 2019
konstant als wichtigstes Problem ansehen - vor den Themen
Migration/Integration (Platz 2) und Renten (Platz 3).
Dabei
zeigt die Jahresauswertung auch, dass die Förderkosten der Erneuerbaren
Energien schon bald sinken werden. Denn alte und teure Anlagen fallen
nach 20 Jahren zunehmend aus der Förderung nach dem
Erneuerbare-Energien-Gesetz, können aber weiterhin zu nun günstigen
Preisen Strom anbieten. Neue Wind- und Solaranlagen wiederum produzieren
Strom inzwischen günstiger als alle anderen Kraftwerkstypen und führen
bei steigenden Erneuerbaren-Energien-Anteilen immer mehr zu sinkenden
Preisen an der Strombörse. So war Deutschland im Jahr 2019 gemeinsam mit
Luxemburg auch das Land in Europa mit den geringsten
Stromgroßhandelspreisen. Interessant war auch, dass die Preisausschläge
an der Börse nach oben und unten (inklusive negative Strompreise) dieses
Jahr moderat ausfielen, Knappheiten am Strommarkt konnten nicht
verzeichnet werden „Das ist ein Zeichen dafür, dass die
Versorgungssicherheit in Deutschland im vergangenen Jahr durchweg hoch
war“, sagt Graichen.
Beigetragen
zum hohen Anteil Erneuerbarer Energien hat auch ein deutlich gesunkener
Stromverbrauch. Dieser war 2019 mit 569 Terawattstunden der geringste
der vergangenen 20 Jahre und niedriger als 2009, dem Jahr der
Wirtschaftskrise. Die Ursache ist sowohl dem geringeren
Wirtschaftswachstum und insgesamt einem geringeren Stromverbrauch der
energieintensiven Grundstoffindustrie geschuldet als auch dem gesunkenen
Eigenstromverbrauch von konventionellen Kraftwerken, die durch
Erneuerbare-Energien-Anlagen ersetzt wurden.
Für
2020 prognostiziert Agora Energiewende, dass die Stromerzeugung aus
Kernenergie weiter abnehmen wird, da das Kernkraftwerk Philippsburg 2
Ende Dezember 2019 stillgelegt wurde. Die Lage der Windenergie an Land
wird sich indes kaum verbessern, der Zubau dürfte sich wie schon 2019 im
Bereich von einem Gigawatt bewegen, während bei der Solarenergie ein
Zubau von vier Gigawatt und damit ein ähnliches Niveau wie 2019 erwartet
wird. Die Windenergie auf See wird sich 2020 aufgrund der
Inbetriebnahme neuer Windparks im zweiten Halbjahr 2019 und ersten
Halbjahr 2020 voraussichtlich weiter steigern. Die Entwicklung bei
Braunkohle, Steinkohle und Erdgas und damit der CO2-Emissionen 2020 ist offen und hängt von der Entwicklung der Kohle-, Gas- und CO2-Preise
sowie der Windverhältnisse ab – zum jetzigen Zeitpunkt sind hierzu
keine verlässlichen Aussagen möglich. Sehr wahrscheinlich ist jedoch,
dass die Aussicht auf mögliche Entschädigungen im Rahmen des
Kohleausstiegs dazu führen wird, dass 2020 kein Kohlekraftwerk
stillgelegt werden wird.
Der Jahresrückblick steht kostenfrei zum Download unter www.agora-energiewende.de bereit. Er umfasst 70 Seiten sowie zahlreiche Tabellen und Grafiken. Diese stehen auf der Webseite unter der Creative Commons Lizenz zur unentgeltlichen Nutzung durch Dritte zur Verfügung.
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