Sonntag, 5. Mai 2019

Wogen gehen hoch, dabei wäre es so einfach.

Die energiepolitische Diskussion hat im Laufe der Auseinandersetzungen ums Klima wieder an Brisanz gewonnen. Und wie das Amen in der Kirche tauchen erneut Forderungen auf nach dem Bau neuer AKW, um den CO2-Ausstoss zu mindern. Vergessen geht dabei: Niemand weiss, wie das konkret zu bewerkstelligen ist. Dabei steht die Alternative mit den Erneuerbaren Energien bereit.

Auch regionenmässig
geschieht Erstaunliches,
wie der Autor dieser Zeilen
auf einer Ferienreise
erkunden konnte: In Sizilien
wurde schon viel gemacht
und soll noch viel mehr
geschehen – davon  die Bilder
Jürg Rohrer ist einer der jüngeren Schweizer Energiewissenschafter, die sich rund um die Erneuerbaren langsam aber sicher in den Vordergrund schieben. Der Professor für ebendiese von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat sich in den letzten Jahren mit Ertragsmessungen für kombinierte PV-Module (inkl. Wärmeerzeugung) einen Namen gemacht (siehe Solarmedia 1.März 2015). Nun verallgemeinert er seine Erkenntnisse und hält in einem Beitrag für die Zeitschrift «Erneuerbare Energien» (Nr.2 April 2019) klipp und klar fest: «Nachhaltige Energie ist im Überfluss vorhanden.» Sie ist gemäss Rohrer der mit Abstand schnellste, kostengünstigste und vor allem sicherste Weg zu einer nachhaltigen, klimafreundlichen Energiepolitik. Zuvorderst steht dabei die Solarenergie, gefolgt von der Windenergie, der Biomasse und der Wasserkraft. Und das entsprechende Potential sei erst zu einem Bruchteil genutzt – liege mithin also praktisch immer noch brach und wäre problemlos erschliessbar.

So könnte gemäss Rohrer auch ein wesentlich grösserer Strombedarf als heute mit heimischen Erneuerbaren gedeckt werden. Finanziell ginge das auf, da wir bis anhin jährlich weit über zehn Milliarden ins Ausland zahlen, um Energieträger wie Erdöl und Gas überhaupt erst ins Land zu holen. Mit der bereits erschlossenen und genutzten Wasserkraft, die heute schon zu drei Fünfteln den hiesigen Strombedarf deckt, liesse sich dessen vollständige Versorgung also mit heimischen erneuerbaren Energien bewältigen – und ein Mehr an Strom anderen Anwendungen wie der E-Mobilität zukommen. Eine Absage erteilt Roher dem Hoffen auf freiwillige Verhaltensänderungen. Wenn überhaupt wirkten sie viel zu langsam. Nicht weit liegt der Vergleich mit dem Verkehr, der sich eben teilweise auch nur mit Verboten und Vorschriften regeln lasse (Beispiele: Gurtentragpflicht, Halteverbot bei Rotlicht etc.). Niemand darf sich schliesslich freikaufen im Bestreben, das Klima zu schützen – daraus ergäbe sich jene Investitionssicherheit, aufgrund derer die Wirtschaft sicherlich mitziehen würde bei klimaschützenden Massnahmen.

Doch wie steht es aktuell um die technische Realisierbarkeit dieses schnellen Weges zu 100%-Erneuerbar? Mit Blick auf die Meldungen der jüngsten Zeit muss man anerkennen: auf jeden Fall viel besser als mit der Realisierbarkeit im Bereich der Atomtechnologie. Mal abgesehen davon, dass letztere in den vergangenen Jahren nur immer teurer wurde (Kostenüberschreitungen bei den einzigen beiden Neubau-Projekten in Europa um jeweils das Dreifache). Vielmehr stehen AKW der dritten und vierten Generation nicht einfach so bereit, sind technisch weiterhin unausgereift – und politisch letztlich auch nicht willkommen (ausser bei einigen weisshaarigen älteren sowie vorzeitig gealterten Männern.

Die Technologien der Erneuerbaren zeigen hingegen in vielerlei Hinsicht gerade in jüngster Zeit wiederum bedeutende Innovationen, die auch schon an der Schwelle zur Umsetzung stehen. So werden Windkraftanlagen immer grösser und leistungsfähiger – sie sind vor allem zu See zunehmend im Einsatz und versorgen hunderttausende zusätzliche Haushalte. Beispiel gefällig aus jüngerer Zeit: Der Windkraftanlagen-Hersteller Siemens Gamesa hat die Bauarbeiten inklusive der Installation und Inbetriebnahme der 60 Offshore Turbinen vom Typ SWT-6.0-154 Direct Drive mit einer Leistung von 6 MW je Anlage in einer Rekordzeit von nur fünf Monaten zwischen Juni und Oktober 2018 durchgeführt. Der Arkona Windpark verfügt über eine Gesamtleistung von 385 MW und wird rund 400.000 deutsche Haushalte mit Strom versorgen. Der Windpark liegt in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone in der Ostsee, 35 Kilometer nordöstlich der Insel Rügen. (Quelle: iwr.de).

Die Solartechnologie erzielt demgegenüber vielerorten lauter kleine, aber bedeutsame Fortschritte. Sie zeigen, dass die Spitze der Fahnenstange der technologischen Entwicklung noch längst nicht erreicht ist. So schien die Dünnschichttechnologie lange in ein Nischendasein abzugleiten, plötzlich ist sie wieder da: Die Hoffnung ruht auf einer Silizium- oder Dünnschichtzelle, die mit einer zweiten, über ihr liegenden Solarzelle verschaltet werden, siehe Neue Zürcher Zeitung Und die herkömmliche und marktbeherrschede Siliziumtechnologie mausert sich gerade, auch dank den technischen Fortschritten bei Meyer Burgers Produktionsanlagen, zu bislang nicht für möglich gehaltenen Leistungsgraden. Zudem zeigt sich unterdessen, dass Module in der Regel deutlich länger als die früher veranschlagten 20 Jahre gute Erträge liefern  -  die Tessiner Versuchsanlage arbeitet unterdessen mit bald 40 Jahre alten PV-Zellen. Ganz allgemein gilt: Auf Schweizer Dächern und Fassaden könnten 67 Terawattstunden Solarstrom erzeugt werden. Das sind 40-mal mehr, als heutige Photovoltaikanlagen erzeugen. Das potenzielle Angebot übersteigt den Stromverbrauch deutlich, siehe hier.

Noch dies: auch mit der Speichertechnologie geht es unterdessen in Riesenschritten vorwärts. Batterien werden immer ausgereifter und billiger und dienen der Kurz- und Mittelfristspeicherung. Insbesondere Power-to-Gas-Anlagen sind derweil so weit fortgeschritten, dass sie die Langfristspeicherung in Griffweite rücken lassen – und jene 1000 Lastwagen, die künftig für Migros und Coop wasserstoffbetrieben über hiesige Strassen rollen sollen, lassen das Potential im Verkehrsbereich erahnen (neben chinesischen Städten geht es in Riesenschritten auch anderswo voran, etwa in Vietnam). Und riesige Batterie-Speicher kommen für die Balance zum Einsatz: In den letzten Jahren entstanden Batterie-Stromspeicher mit mehreren Gigawatt Leitung. Sie sind flexibler als herkömmliche Kraftwerke, müssen sich aber erst auf dem Markt durchsetzen.

Will also heissen: Weder ist Atomtechnologie in der Lage, die Energiebedürfnisse zu decken – noch ist sie auf der Höhe der Zeit, wenn man sie mit der erreichten Kosteneffizienz und technologischen Reife der Erneuerbaren vergleicht. Besonders gute Voraussetzungen hat dabei die Schweiz: eine Solarforschung auf Weltklasse-Niveau, viele gute Praktiker (und wenige Praktikerinnen), hervorragende Speichervoraussetzungen dank der bereits erstellten Infrastruktur und nicht zuletzt gute Solarerträge.

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