Samstag, 3. Januar 2015

Scheer, Gabriel und die Wende

Als sich Hermann Scheers Todestag zum ersten Mal jährte, hielt Sigmar Gabriel im Berliner Willy-Brandt-Haus die Gedenkrede. Er pries den Solarpionier Scheer als Vorbild für die ganze Partei, der weltweit für die Energiewende gekämpft habe und der als erster begriffen hatte, dass das Solarzeitalter eine große Chance für die ganze Menschheit sei.  Ein Kommentar von Franz Alt. 

Und nun: Was macht Gabriel selbst nachdem er in Deutschland seit einem Jahr die politische Verantwortung für die Energiewende hat? Er will ein Klimaheld sein, aber als Wirtschaftsminister auch den Bossen und als SPD-Vorsitzender auch noch gleichzeitig den Gewerkschaften gefallen. Kann das gut gehen und kann das überhaupt gehen? Gabriel will allen gefallen. Das muss man wohl, wenn man Bundeskanzler werden will. In seinem Buch „Zurück zur Politik“ aus dem Jahr 1995 empfiehlt Hermann Scheer etwas anderes: Ein Politiker darf nicht allen gefallen wollen, folge Deinem inneren Kompass, setze Prioritäten, die mit Deinem Gewissen vereinbar sind, kämpfe für Deine Ideale, taktiere nicht nur, sondern verfolge Deine Strategie. Die Wähler werden diese Gradlinigkeit honorieren.

Gerhard Schröder hatte Hermann Scheer einmal als „gefährlich“ bezeichnet, weil „Du nicht  nur Ideale hast, sondern sie auch noch ernst nimmst.“ So ähnlich hat wohl auch Sigmar Gabriel über Hermann Scheer gedacht als er als deutscher Umweltminister zu verhindern wusste, dass Scheer Gründungspräsident von IRENA wurde, obwohl er dafür von mehreren ausländischen Regierungen vorgeschlagen war. Scheer war immer sicher, dass wir im Angesicht des Klimawandels und den Folgekosten die Energiewende so rasch wie möglich erkämpfen müssen – er hielt sie in Europa bis 2040 für möglich und weltweit bis 2050. „100 % jetzt“ forderte er in seinem letzten Buch kurz vor seinem Tod.


Doch Gabriel bremst, er stolpert über seine eigenen Kompromisse. Der Wirtschaftsminister gibt ein Tempo vor, das die Energiewende frühestens in 100 Jahren ermöglicht. Knapp, sagt dazu Hermann Scheer, sind nicht die erneuerbaren Energien, knapp ist die Zeit, die uns noch bleibt. Gabriel argumentiert: „Wir können nicht gleichzeitig aus Atom und aus Kohle aussteigen“. Hingegen Hermann Scheers Forderungen zusammengefasst:


  • Rasche Umstellung von Energie- und Rohstoffbasis auf erneuerbare und dauerhaft verfügbare und preiswerte Ressourcen
  • Eine Weltwirtschaftsordnung, die soziale und ökologische Eigeninitiativen von Staaten schützt und fördert
  • Strategien zur Entflechtung von Monopolen in der Wirtschaft, in politischen Institutionen und Medien
  • Eine neue Weltagrarordnung ohne Saatgutmonopole und Genpatentierung
  • Die Förderung von Konzepten für ökologisches Bauen und ökologische Verkehrssysteme
  • Den Ersatz der NATO durch eine eigenständige Sicherheitspolitik der Europäischen Union, vollständige atomare Abrüstung. 
Nur so, meinte Hermann Scheer schon vor bald 20 Jahren, sei „eine archimedische Wende gegen den Zerfall der Demokratie“ möglich. Selten in der Weltgeschichte hat ein Politiker so recht bekommen. Politiker wie Sigmar Gabriel denken primär an die nächste Wahl –  dafür demontieren sie auch gewachsene Sozialsysteme, opfern die Handlungsspielräume demokratischer Politik und erzeugen Staats-, Demokratie- und Parteienverdrossenheit.  Hermann Scheer hingegen wollte langfristige Zukunftssicherung durch einen sozialökologischen Generationenvertrag. Er dachte primär an die nächste Generation. Was ist wichtiger: Die nächste Wahl oder die nächste Generation?   

Hermann Scheer "100% jetzt: der energethische Imperativ: Wie der vollständige Wechsel zu erneuerbaren Energien zu realisieren ist" 

Quelle :   FRANZ ALT 2015 | Erstveröffentlichung "Solarzeitalter 3/4 2014" 

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