Das mit den Farbetiketten ist so eine Sache – denn nach gängiger Lesart kann Wasserstoff grau, blau oder eben grün sein. Will heissen, er wird in der grauen Variante mit Erdgas erzeugt (wie das bei Russlands Offensive wohl eindeutig so sein wird) und damit zu einer weiteren CO2-Schleuder im Weltmassstab. Da kann man allenfalls entlastend anfügen: Wo bisher die Verbrennung von Erdöl am Anfang der Erzeugung stand, scheint die Verwendng von Erdgas ein Fortschritt zu sein (wenn nicht hohe Transportverluste diesen gleich wieder zunichte machen). Ein Weg hin zu einer CO2-freien Energiewelt ist die graue Variante aber nicht.
Weshalb sich eine Wasserstoffwirtschaft auf der Basis von Erdgas verbietet? Gefragt ist der grüne Weg, bei dem erneuerbare Energien zum Einsatz gelangen: Wasserkraft (wie bei der Schweizer Versuchsanlage in Niedergösgen - siehe Bild) oder Windkraft (wie bei angedachten Projekten in Norddeutschland und Norwegen) oder dann vor allem mit dem weltweit vermutlich grössten Potential die Solarkraft. Deren Aufkommen etwa in den arabischen Staaten, oder auch in Nordafrika und der Sahelzone, ist unermesslich – und dort sind auch schon die grössten Wasserstoff-Anlagen in Entwicklung (wie in Marokko). Trotz der Liebe der aktuellen Machthaber zur Kohle (seitens der regierenden konservativen Partei) gilt schliesslich auch Australien als Hotspot der künftigen (grünen) Wasserstoff-Erzeugung (es ist gar von einer Wasserstoffachse zwischen Australien und Europa/Deutschland die Rede).
Sodann gibt es noch den Blauen. Er wird zwar unter Verwendung von fossilen Energien erzeugt. Im Fabrikationsprozess wird dabei das CO2 ausgeschieden und versprochenermassen sicher gelagert, wie etwa in alten Kavernen. Schon länger sind solche Technologien im Gespräch. Aber man kann sich nur schwerlich vorstellen, dass das in grossem – problem-lösenden Umfang – jemals möglich sein wird (von den Dimensionen wie von den Finanzen her gesehen). Das führt auch zu einen Seitenblick auf die Klimastrategie der Grünen Partei der Schweiz, die in ihrer neuesten Variante eine Lagerung von abgeschiedenem CO2 in Norwegen vorschlägt vorschlägt –Details der Lösung aber noch schuldig ist. Das soll unglaublicherweise sogar bereits im Jahr 2040 eine CO-negative Schweiz ergeben. Wer’s glaubt wird selig und Grünen-Nationalrat Bastian Girod vielleicht noch mehr, denn er präsidiert den Verband der Betreiber Schweizerischer Abfallverwertungsanlagen VBSA. Der Verband fordert im Einklang mit den Grünen, das so genannte Carbon Capture and Storage (CCS), wie der Beobachter bekannt machte – siehe hier >>>.
Da bleiben also zumindest Zweifel, ob der blaue Wasserstoff der zu verfolgende Technologiepfad sein kann. Zumal seine Praxistauglichkeit ebenso in den Sternen steht wie die Lagerung von Atommüll. Vielmehr, das scheint für den Moment klar, muss der Wasserstoff grün in seiner reinsten Form sein - von allem Anfang an also CO2-frei! Da muss man unterdessen gar nicht mehr so weit suchen, sondern wird erfreulicherweise selbst in der Schweiz zumindest auf Projektebene fündig.
Und wozu soll’s dienen? Nicht weniger als 1600 LKW, versorgt über 50 Tankstellen sollen in den kommenden fünf Jahren schrittweise den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft Schweiz markieren. Der Schweiz würde es damit im Lastwagenbereich gelingen, das erste industrielle Wasserstoff-Ökosystem Europas aufzubauen. Dank dem Projekt Hyundai Hydrogen Mobility sollen dieses Jahr schon die ersten 50 Brennstoffzellen-Elektrolastwagen des koreanischen Herstellers auf Schweizer Strassen unterwegs sein (derzeit ist es je nach unterschiedlichen Angaben ein einziger oder deren zehn). Gemietet werden sie von den Mitgliedern des privaten Fördervereins H2 Mobilität Schweiz, dessen Mitglieder wiederum Tankstellenbetreiber, Transportfirmen – aber auch die beiden grossen Einzelhändler Coop und Migros sind. Tanken sollen die Lastwagen an gesamthaft sechs Tankstellen (bis Ende Jahr), wie der VSE schrieb siehe >>> hier.
Naheliegend, dass der Blick über die Grenzen in der Breite noch ergiebiger ist – wenn auch dort noch vieles schwammig erscheint, etwa in Deutschland. Immerhin gibt es mehrere grosse Projekte wie etwa dieses, das Energate bekannt machte: Fortschritte erzielt demnach ein Wasserstoff-Forschungsprojekt in Sachsen-Anhalt. Im Industriepark Leuna ist kürzlich der offizielle Baustart für einen 5-MW-Elektrolyseur erfolgt. Dieser soll die Vorstufe für das dort geplante Reallabor "GreenHydroChem" bilden (gemäss energate Wasserstoff Briefing vom 11.August 2020).
In Zukunft soll also Mobilität CO2-neutral sein. Noch nicht klar ist, wie wir Benzin und Diesel genau ersetzen werden. Von Batterien gespeiste Elektromotoren dürften einen Grossteil der künftigen Fahrzeugflotte bei den Personenwagen (im Gegensatz zum oben erwähnten Schwerverkehr) antreiben. Diskutiert werden die beiden unterschiedlichen Wege etwa > energie-experten.ch 13.8.20.
Wie realistisch sind die neuen Ziele beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft? In einem Interview spricht die bereits erwähnte Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, über die Bedeutung von Wasserstoff für die Energiewende > rnd.de 16.8.20.
Auch unter Börsianern hat sich der Hype rund um die neue Energie verbreitet – so schreibt der Newsletter institutional-money.com : «Wasserstoff könnte in unterschiedlichen Bereichen Anwendung finden – nicht zuletzt auch in der Autoindustrie. Sogar 78 Prozent der Börsianer glauben, dass Wasserstoff-Fahrzeuge im Wettrennen um die Technologie der Zukunft die Nase vorn haben. Lediglich 22 Prozent sehen reine Stromer im Vorteil» - siehe hier >>>. Woher gerade die Börsianer diese Einschätzung nehmen, die ja bezüglich des Personenwagen diametral zu sonstigen Prognosen steht, bleibt verborgen.
Eine ganze Nummer hat soeben das Swissquote-Magazin dem Thema gewidmet: Sollte es diesmal klappen, fragt das soeben erschienene Dossier zum Wasserstoff. Sogar anfangs der 70er Jahre galt es demnach schon einmal, sich in der Energiewelt zu entscheiden – und der Entscheid fiel gegen den Wasserstoff und zugunsten der Atomkraft.... Und nun sind 10 Lastwagen auf CH-Strassen unterwegs – für die keine Schwerverkehrsabgabe fällig ist (weshalb der Versuch wohl in der Schweiz stattfindet). Ein 40-Tönner-LKW bräuchte ja mehrere Tonnen Batterien für weite Distanzen, das verbietet sich aus verschiedenen Gründen. Und Bahnnetze müssen nicht mehr elektrifiziert werden (in Folge dessen die Schweiz hierbei keinen Markt darstellt). In den USA sind Gabelstappler (wohlgemerkt um die 25'000 an der Zahl) schon länger mit Wasserstoff unterwegs. Die derzeit grösste Anlage zur Produktion von grünem Wasserstoff steht schliesslich gemäss dem Dossier bedeutungsschwanger in Fukushima. Und tollerweise gibt es bereits Kleinanlagen wie in den französischen Alpen – auf zur Energieautarkie also! In Japan gibt es zudem bereits 305'000 Privathäuser, die aus Wasserstoff Wärme und Strom gewinnen.
Dass da wirklich etwas im Busch ist, zeigt wohl auch das Vorhaben einer ersten Wasserstoff-Tagung im November 2020. Roland Dittmeyer brachte es im ZDF vom 29.8.20 auf den Punkt, warum der Hype jetzt gerechtfertigt ist: «Die Mehrheit der Menschen realisiert inzwischen, dass wir ernsthaft gegen den Klimawandel vorgehen müssen. Es gibt also genug politischen Druck. Auf der anderen Seite haben wir heute die Situation, dass wir erneuerbaren Strom so günstig wie noch nie herstellen können. Mit dem erneuerbaren Strom können wir über Elektrolyse grünen Wasserstoff erzeugen und das setzt eine andere Dynamik in Gang als wir sie in den vergangenen Jahrzehnten erlebt haben.» Siehe hier >>>.
Fazit:
Das Klimaziel 1,5/2-Grad-Erwärmung zu erreichen, ist zweifellos eine
Herkulesaufgabe – und bislang zweifelhaft. So viel scheint aber klar: Die Welt
braucht sehr viel mehr Erneuerbare Energie. Vor allem Sonne und Wind sind diesbezüglich
bei weitem erste Wahl – sowohl ökologisch (wenig CO2-Ausstoss in ganzer
Lieferkette) wie ökonomisch (immer billiger mit weiterem Potential zur Senkung
der Kosten). Da unregelmässig anfallend, wird eine Speicherung in grossem Stil
unausweichlich – die Wasserstofftechnologie bietet diesbezüglich die besten
Voraussetzungen. Etwa so wie bei der Milch, die schliesslich auch zum grossen
Teil in Käse umgewandelt werden muss, um in grossem Stil Absatz zu finden – was
man gerade Schweizer*innen eigentlich nicht erläutern muss (100 Gramm Käse
erfordern etwa 1 Liter Milch – und nur wenige kommen deshalb auf die Idee, die
Milchverarbeitung zu verdammen).
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